Für viele Anwendungen greift die klassische Werkstoffauswahl anhand von zentralen Kennwerten zu kurz. Denn: Auch bei ähnlichen Kennwertlagen wie zum Beispiel gleicher Zugfestigkeit unterscheiden sich Stahlwerkstoffe im Detail erheblich, besonders in Bezug auf die Verarbeitungsprozesse. Gerade im sogenannten Hochfest-Bereich können Werkstoffausführungen gleicher Festigkeit stark unterschiedliche Eigenschaften hinsichtlich Fügbarkeit, Biegbarkeit oder Isotropie aufweisen. Alle hierin liegenden Potenziale können mit Hilfe einer anwendungsorientierten Ausführung moderner Werkstoffe ausgeschöpft werden. Möglich wird dies durch die frühzeitige Einbindung von Waelzholz als Werkstofflieferanten in die Produktentwicklung. Das Ergebnis: Werkstoffe mit maßgeschneiderten Eigenschaften sowohl für die Endanwendung als auch für die Herstellungsprozesse des Kunden.
Zeit und Freiheitsgrade sind heute zentrale Kriterien in der Produktentwicklung. „Kurze Produktlebenszyklen erhöhen den Druck auf alle Stufen der Wertschöpfungskette, von der Stahlerzeugung über die Bandstahlproduktion bis hin zum fertigen Endprodukt“, erklärt dazu Dr. Michael Hellmann aus der Waelzholz-Werkstofftechnik. Vor diesem Hintergrund sind zunehmend Werkstoffe gefragt, die sowohl in Bezug auf die Endanwendung als auch auf die Herstellungsprozesse innerhalb der einzelnen Wertschöpfungsstufen eine passgenaue Performance bieten. Dies erfordert bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Produktentstehung eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Konstrukteur und dem Werkstofflieferanten.
Mehr als klassische Kennwerte
Bei der Werkstoffauswahl geht es häufig um klassische Kennwerte wie Federkraft, Verschleißfestigkeit, Korrosionsbeständigkeit, Magnetisierbarkeit oder eine günstige Gewichtsrelation. Warum dies in etlichen Projekten zu kurz greift, erläutert Dr. Hellmann: „Klassische Kennwerte stellen nur die Spitze des Eisbergs dar. Es sind die Faktoren, die sofort als relevant angesehen werden. Hinter diesen Kernmerkmalen verbergen sich jedoch oft weitere Anforderungen, die zum Teil direkt in der Entwicklungsphase, manchmal aber auch indirekt erst nach Serienanlauf an Bedeutung gewinnen.“ Um auch die letztgenannten Faktoren exakt zu identifizieren und den Werkstoff auf diese auszulegen, hat Waelzholz eine dreistufige Vorgehensweise entwickelt:
- Entwicklungsauftrag
- Verarbeitungsverhalten
- Serienprüfung
1. Entwicklungsauftrag: Frühzeitige Einbindung sichert Freiheitsgrade
Ein Entwicklungsauftrag startet vielfach mit vorausgesetzten klassischen Kennwerten, die für eine Anwendung nötig sind. Dass diese nur einen Bruchteil der Möglichkeiten geeigneter Stahlwerkstoffe skizzieren, verdeutlicht das Diagramm aus Abbildung 1 zur Darstellung der Dehnung in Abhängigkeit der Festigkeit. Dr. Hellmann: „In dem Diagramm ist unser Werkstoffspektrum für die Kennwertlagen von Streckgrenze und Zugfestigkeit im Bereich von 150 – 1.700 MPa bei einer Dehnung von 10 – 60 % dargestellt. In Summe ergeben sich hieraus 280 Werkstoffvarianten, die Waelzholz anbietet.“ Bedeutsam für unsere Betrachtung sind hierbei aber vor allem die Überschneidungen in den Materialeigenschaften. Sie zeigen, dass etliche Werkstoff-Varianten für identische Streckgrenzen- und Zugfestigkeitsbereiche geeignet sind. Dies bedeutet, dass weitere Unterscheidungskriterien gefunden werden müssen. „Wir verfügen hier über ein riesiges Potenzial, über die Einbeziehung weiterer Faktoren bei der Werkstoffwahl, zu einer wirklich optimalen Abdeckung des gesamten Anforderungsprofils zu kommen“, so Dr. Hellmann. Je frühzeitiger der Werkstofflieferant in den Entwicklungsprozess einbezogen wird, desto mehr Freiheitsgrade können über diese ganzheitliche Betrachtung gewonnen werden.