Grafische Illustrationen zur Nachhaltigkeit

Steel to Zero: wie der Stahl grün wird

Stahlprodukte sind allgegenwärtig: Autos, Waschmaschinen, medizinische Kanülen und viele weitere Produkte, die in unserem Leben eine wichtige Rolle spielen, sind ohne Stahlwerkstoffe so wenig denkbar wie Windräder, die einen zentralen Beitrag für unsere Energiewende leisten. Bei der Frage, wie Stahlprodukte grün werden können, sind viele Aspekte von technischer Umsetzbarkeit bis zu politischen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. In unserem Podcast greifen wir diese Aspekte auf und beleuchten Hintergründe wie auch Herausforderungen auf dem Weg zum grünen Stahl.

Bis zum Jahr 2045 soll Deutschland weitestgehend treibhausgasneutral werden. Dies gilt auch für die Stahlindustrie. Auf dem Weg zu diesem Ziel gibt es viele gute Ideen, aber es gibt auch viele Herausforderungen. Wichtig ist: Die Dekarbonisierung wird nur dann möglichst schnell gelingen, wenn alle relevanten Akteure von den Unternehmen in der Wertschöpfungskette bis hin zur Politik gemeinsam daran arbeiten. In unserem Podcast „Steel to Zero“ stellen wir wirtschaftliche, technische und politische Zusammenhänge in Bezug auf die Dekarbonisierung dar und zeigen Handlungsoptionen aber auch Grenzen auf. Dazu lassen wir ausgewiesene Fachleute zu Wort kommen.

Wir wünschen Ihnen viel Freude und neue Erkenntnisse mit unserem Podcast „Steel to Zero: wie der Stahl grün wird“.

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Folge 4 – Mit Schrott zu zero carbon? Warum durch den Einsatz von EAF-Stahl die globalen CO2-Emissionen nicht reduziert werden

14.11.2024

Wenn Produkte aus Stahl das Ende ihrer Lebensdauer erreicht haben, ist das Leben des Materials noch lange nicht beendet: denn Stahl ist unbegrenzt recyclingfähig. Mit Blick auf das Klima ist der Vorteil, dass die Herstellung von Rohstahl mit Schrotteinsatz im Vergleich zum Einsatz von Eisenerz den CO2-Ausststoß erheblich vermindert. Was zunächst wie eine sehr gute Lösung für die Emissionsreduzierung in der Stahlindustrie klingt, erfährt jedoch klare Grenzen in der tatsächlichen Umsetzbarkeit. Welche Möglichkeiten Schrott bietet, und welche Limitationen diese einschränken, erfahren Sie in dieser Folge unseres Nachhaltigkeitspodcast.

Gäste:
Sandrina Sieverdingbeck (Geschäftsführerin DEUMU Deutsche Erz- und Metall-Union GmbH)
Dr. Matthias Gierse (Waelzholz-Berater und ehemaliger Geschäftsführer Vertrieb und Einkauf der Waelzholz Gruppe)

Moderation:
Ute Neuhaus

Podcast Folge 4 in Schriftform

MIT SCHROTT ZU ZERO CARBON? WARUM DURCH DEN EINSATZ VON EAF-STAHL DIE GLOBALEN CO2-EMISSIONEN NICHT REDUZIERT WERDEN

Ute Neuhaus: Stahl begegnet uns überall, fast in jedem Lebensbereich. Er ist unverzichtbar in der modernen Industriegesellschaft. Und das seit vielen Jahrzehnten. Was ihn dabei ganz besonders wertvoll macht? Stahl ist unendlich recycelbar. Es gibt Stimmen, die Stahlrecycling für den idealen Lösungsweg in Richtung Klimaneutralität halten und Recyclingquoten für die Stahlproduktion fordern. In den ersten drei Folgen unseres Podcast „Steel to Zero“ ist uns das Recyceln von Stahlschrott bereits mehrfach begegnet. Im Hinblick auf Schrotteinsatz bei den unterschiedlichen Produktionsrouten von Stahl ebenso als Forderung von Kunden, um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Mit Schrott zu zero carbon? Ist Schrott der ideale Weg zu grünerem Stahl oder setzt man zu viel Hoffnung auf das Recycling? Ich bin Ute Neuhaus und über die Herausforderungen von höheren Recyclingquoten möchte ich mit zwei Menschen sprechen, die es wissen müssen. Im Studio sind Sandrina Sieverdingbeck, Geschäftsführerin der DEUMU - das ist die Deutsche Erz und Metallunion GmbH in Peine - und Dr. Matthias Gierse, langjähriger kaufmännischer Geschäftsführer bei Waelzholz. Guten Tag und herzlich willkommen! 

Herr Dr. Gierse: Schönen guten Tag, Frau Neuhaus. 

Sandrina Sieverdingbeck: Hallo. Freut mich, hier zu sein. 

Ute Neuhaus: Frau Sieverdingbeck. Was genau ist denn eigentlich die DEUMU? Was ist das Geschäftsmodell des Unternehmens? 

Sandrina Sieverdingbeck: Ja, die DEUMU ist eine 100-prozentige Tochter der Salzgitter AG in Europa, einer der führenden Konzerne für Stahltechnologie und Anlagenbau. Wir sind bedeutender Player im Schrottrecycling und bewegen jährlich rund 2 Millionen Tonnen Schrott pro Jahr. Und das eben hauptsächlich für die Werksversorgung unserer Stahlwerke in Salzgitter und Peine. In Salzgitter betreiben wir einen der größten Schrottplätze Deutschlands und rangieren mit unserem Handeln und Tun so unter den Top drei der Stahlrecycler hierzulande. Der Schrott wird in den Stahlwerken in Salzgitter und Peine eingesetzt. Geschlossene Energie und Materialkreisläufe sind die Langfriststrategie von Salzgitter. Wir verfolgen eine Circularity-Strategie: „Pioneering for Circular Solutions“, das ist die Vision des Konzerns.

Ute Neuhaus: Vielen Dank. Auf das Thema Kreislaufwirtschaft kommen wir dann gleich natürlich zurück. Herr Dr. Gierse, wollen Sie sich auch kurz vorstellen? Und auch das Unternehmen Waelzholz vorstellen?

Herr Dr. Gierse: Ja, gerne. Ich war lange Jahre Geschäftsführer für Vertrieb und Einkauf bei Waelzholz, habe die Funktion Mitte des Jahres an meinen Nachfolger abgegeben, bleibe dem Unternehmen aber weiterhin verbunden und bin unter anderem auch noch in Themen der Nachhaltigkeitsstrategie eng eingebunden. Waelzholz ist Technologieführer in der Kaltwalz-Branche. Wir produzieren ein sehr breites Portfolio an Produkten, alle denkbaren kaltgewalzten Produkte - profiliert, Flachdrahtprodukte und auch rostfreie Produkte. Und das tun wir international an Standorten in Europa, in Asien, in Nord- und in Südamerika. Der kaltgewalzte Werkstoff, den wir fertigen, geht auf der ganzen Welt in unterschiedliche industrielle Anwendungen, wie beispielsweise die Automobilindustrie und da sowohl in den Verbrenner als auch in Elektrofahrzeuge wie in viele andere industrielle Anwendungen, aber auch und unter anderem als Enabler in viele Anwendungen von Produkten, die für die Energiewende benötigt werden. Als Beispiele kann man da nennen die Brennstoffzelle, Generatoren, Windkraftanlagen, also Windkraftgeneratoren, die mit unseren Produkten beliefert werden.

Ute Neuhaus: Frau Sieverdingbeck, Herr Dr. Gierse, unsere Podcast Reihe „Steel to Zero“ beschäftigt sich ja mit der Frage, wie die Stahlproduktion grün, also klimaneutral werden kann. Und Recycling ist ja immer eine gute Sache. Aber welche Rolle spielt das beim Thema Stahl? Warum ist Schrott in der Diskussion um weniger CO2 relevant? 

Sandrina Sieverdingbeck: Als ein hundertprozentiges Recyclingprodukt wird Schrott bei seiner Verwendung im Entstehungsprozess von Stahl mit null Emissionen bewertet. Stahlproduktion ausschließlich mit Schrott im EAF, also im Elektrolichtbogenofen, bedeutet etwa 1,67 Tonnen weniger CO2 pro Tonne erzeugtem Stahl. Allerdings können wir uns nicht allein auf das Recyclingprodukt Schrott verlassen. Wir brauchen auch weiterhin den Primärrohstoff Erz, da Schrott ein endliches Produkt ist. Und demzufolge investieren wir hier in Salzgitter auch in Anlagen, in sogenannte Direktreduktionsanlagen, um Erz künftig CO2-arm zu reduzieren. Das ist allerdings teuer und zeitintensiv. Wir brauchen für die Umsetzung - für die Implementierung -der Anlage etwa drei Jahre.

Ute Neuhaus: Das heißt, nur mit Schrott geht es nicht. Aber Schrottrecycling ist an sich ja doch eine gute Idee auf dem Weg zum grüneren Stahl. Und am besten wäre es, wir könnten das komplett mit Schrott machen. Herr Dr. Gierse: Gute Idee, oder?

Herr Dr. Gierse: Ja, wirklich eine gute Idee, die tatsächlich seit vielen Jahrzehnten in der globalen Stahlindustrie auch umgesetzt wird. Schrott wird in hohem Maße auch heute schon in der Stahlerzeugung eingesetzt. Allerdings sind dieser Technologie eben technologische Grenzen gesetzt und auch Grenzen hinsichtlich der Verfügbarkeit gesetzt. Stahl ist super recyclingfähig, keine Frage. Aber die Qualitäten, die ich dann aus einem EAF-Prozess mit Schrott erzeugen kann, die sind eben sehr stark davon abhängig, wie gut der Schrott, der eingesetzt wird, vorsortiert worden ist. Was wir beispielsweise für unsere Produkte nicht gebrauchen können, sind Spurenelemente aus etwa Nichteisen-Metallen, wie Kupfer, wie Messing, die für unsere Produkte nicht verträglich sind. Also für die Qualitätsansprüche, für bestimmte Anwendungsfälle, wird Frischstahlerzeugung aus Erz benötigt in gleicher Weise aufgrund der Verfügbarkeit von Schrott. 

Ute Neuhaus: Bekommt dann Wälzholz besonderen Schrott, Frau Sieverdingbeck? 

Sandrina Sieverdingbeck: Bei der Flachstahlproduktion für Güten, wie wir sie an Waelzholz liefern, setzen wir im Wesentlichen auf Neuschrotte.

Ute Neuhaus: Und Neuschrotte sind dann besonders rein? 

Sandrina Sieverdingbeck: Genau, die sind weniger behaftet von Begleitelementen, unerwünschten Elementen wie Kupfer, Nickel, Chrom. Und von daher bauen wir auf den Einsatz von Neuschrotten. Aber auch künftig werden wir in der Lage dazu sein, Altschrotte so aufzubereiten, dass sie entsprechend den Reinheitsanforderungen genügen.

Ute Neuhaus: Sie haben vorhin schon angedeutet, dass eine zukünftige Stahlproduktion bei Salzgitter anders aussehen wird. Können Sie das auch noch mal mit ein paar Zahlen hinterlegen?
Wie sieht das denn dann aus? Der E-Schrott EAF, was ist die Strategie von Salzgitter?

Sandrina Sieverdingbeck: Wir produzieren derzeit in Salzgitter am Standort jährlich 4,5 Millionen Tonnen Rohstahl. Und das auf Basis der Hochofenroute. Dafür haben wir derzeit drei Hochöfen im Einsatz. Diese werden wir sukzessive stillsetzen bis 2033 und werden unsere Metallurgie ersetzen durch eine elektrifizierte Route. Wir werden drei Elektrolichtbogenöfen bauen und für die Reduktion von Eisenerz zu Eisenschwamm braucht es Direktreduktionsanlagen. Die werden wir auch implementieren. Derzeit sind wir dabei aktuell für die Stufe eins einen Elektrolichtbogenofen und eine Direktreduktionsanlage zu bauen.

Ute Neuhaus: Herr Dr. Gierse, CO2-Footprint vom eingesetzten Rohmaterial. Da müssen Sie doch begrüßen, was Salzgitter jetzt tut? 

Herr Dr. Gierse: Ja, das begrüßen wir sehr, dass Salzgitter sich mit neuen Technologien der grünen Stahlerzeugung beschäftigt. Der CO2-Footprint unserer Produkte ist zu circa 90 % vom eingesetzten Rohmaterial abhängig. Also wir bringen in unserer Produktion nur circa 10 % des Product Carbon Footprint ein, 90 % sind Rohmaterial. Also ohne CO2-reduziertes Warmbands gibt es keinen grünen Bandstahl. Das ist einfach eine Tatsache. Daher stehen wir sehr engen Kontakt mit Salzgitter und haben ja auch eine Entwicklungspartnerschaft, um Produkte, die dann aus den neuen Routen in den nächsten Jahren erzeugt werden können, um die dann für unsere Prozesse auch zu erproben und möglichst einzusetzen. Allerdings müssen wir sehen, dass der Einsatz von Schrott das Problem allein nicht lösen kann. Wir müssen hier auf die von Salzgitter angestrebten Technologien über grünen Wasserstoff, DRI-Erzeugung und dann Aufschmelzung in Schmelzaggregaten gehen, weil die weltweit verfügbare Schrottmenge bei einem weltweiten Stahlbedarf von circa 2 Milliarden Tonnen bei weitem nicht ausreicht, diesen Stahlbedarf abzudecken. Insofern werden wir auch in Zukunft darauf angewiesen sein, in großem Umfang Erz zu reduzieren, um daraus frischen Stahl zu machen.

Ute Neuhaus: Jetzt sind wir schon ziemlich tief in die Materie Qualität, neue Konzepte eingestiegen. Ich würde aber gerne noch mal einen Schritt zurückgehen und noch mal auch zu DEUMU - und die Frage stellen, wie denn überhaupt der Schrott in den Wertstoffkreislauf zurückgelangt? Wir kennen alle den Schrotthändler, der das, was wir an die Straße stellen, einsammelt. Aber das ist ja sicherlich nicht entscheidend für die relevanten Mengen von Stahlschrott und für die industrielle Produktion. Wie funktioniert das denn eigentlich?

Sandrina Sieverdingbeck: In Deutschland existiert bereits seit Jahrzehnten oder gar seit Jahrhunderten eine gewachsene Recyclinginfrastruktur, die das Einsammeln und Verwerten von Schrott ermöglicht. Es gibt eine klassische Schrottpyramide, die ist wie folgt aufgebaut. Da gibt es zum einen die kleinen Schrottsammler, die entsprechend Schrott aus privaten Haushalten oder kleinen Betrieben sammeln. Das ist so ungefähr eine Jahres Tonnage von 2.000 Tonnen Schrott. Dann gibt es die mittleren Lagerbetriebe, die wiederum dann die Mengen der kleinen Schrottsammler konsolidieren. Und da sprechen wir in etwa von einer Jahrestonnage von 15.000 Tonnen Schrott. Und dann gibt es eben die großen Aufbereitungsbetriebe wie die DEUMU. Hier wird dann der Schrott sortiert und eben weiter aufbereitet mittels Scheren-, aber auch Schredderanlagen, um das Material dann auch wieder einsetzen zu können in der Stahlproduktion.

Ute Neuhaus: Sie haben vorhin davon gesprochen, dass Sie den größten Schrottplatz Deutschlands haben. Wie muss man sich das vorstellen? 

Sandrina Sieverdingbeck: Wir bewirtschaften circa 40 Hektar in Salzgitter und das sind umgerechnet 56 normalgroße Fußballfelder. 

Ute Neuhaus: Also so eine Dimension hätte ich mir jetzt nicht vorgestellt. Sie sammeln ja in Deutschland ein. Aber wohin geht denn dann der Schrott? Bleibt der Schrott in der Region, in der gesammelt wird, oder reden wir über globale Kreisläufe?

Sandrina Sieverdingbeck: Der Schrott ist an sich ein regionales Produkt und wir sammeln idealerweise in einem Umkreis von 200, 250 Kilometern ein. Neuschrotte beziehen wir idealerweise über sogenannte Closed-Loop-Konzepte. Das heißt, unsere Konzernschwester, die Salzgitter Flachstahl, beliefert ihre Kunden wie Waelzholz mit Flachstahl Produkten und auf dem Rückweg wird der dort anfallende Schrott entsprechend wieder eingesammelt. Das ist ein logistisch sehr wirtschaftlicher Prozess und das ist auch so unser Favorit. Ansonsten geht Schrott auch in den Export, gerade in solche Länder, die eine große Elektrolichtbogenproduktion haben. Stahl auf Basis von Elektrolichtbogenöfen produzieren im wesentlichen Baustahl und da ist das wesentliche Land die Türkei. Also es geht viel Material heute in die Türkei. Es kommen aber auch neue Länder hinzu, wie Indien und Bangladesch. 

Herr Dr. Gierse: Es ist tatsächlich so, dass der Schrott-Export doch eine relativ nennenswerte Größenordnung hat. Laut World Steel im Jahr 2023 circa 50 Millionen Tonnen Schrott, die extraterritorial, also außerhalb der Region, in dem der Schrott entstanden ist, exportiert worden sind. Und zwar muss man da berücksichtigen, dass die, das Schrottaufkommen auf der Welt eben sehr ungleich verteilt ist. Das hat mit der wirtschaftlichen Entwicklung unterschiedlicher Wirtschaftsräume zu tun. Wirtschaftsräume wie die EU, Europa und die USA haben ein sehr hohes Schrottaufkommen, weil es eben alte Volkswirtschaften sind, während die gerade von Frau Sieverdingbeck genannte Türkei eben ein geringes Schrottaufkommen hat und daher Schrott importieren muss. Die beiden Weltregionen, die ich gerade genannt habe, USA und Europa, exportieren in relativ großem Umfang Schrott. 

Ute Neuhaus: Jetzt haben wir gerade über Schrotte für zum Beispiel Baustahl und dann insbesondere Türkei gesprochen. Da würde ich gerne auch noch mal nachfragen: Welche Schrottsorten lassen sich denn unterscheiden? Wie können wir denn Schrotte für Baustahlproduktion, Schrotte für die Produktion von hochwertigem Bandstahl unterscheiden? Kann man da Kategorien bilden?

Herr Dr. Gierse: Ja, Frau Sieverdingbeck hatte das gerade ja sehr gut dargestellt. Die einzusetzenden Schrottsortierungen für EAF-Fertigung für hochqualitative Stähle müssen eben sehr sortenrein und, und sehr aufwendig gemacht werden. Mit einem Altschrott erzeugt man in der Regel heute im EAF-Verfahren eben Baustähle, die nicht so empfindlich sind hinsichtlich Begleitelementen, Spurenelementen, Nichteisenmetallen, die in den Altschrotten auftreten. Das spiegelt sich auch in unserem Bedarf zu etwa 95 % aus BOF-Verfahren gefertigt. Nur etwa 5 % entfallen bei uns auf EAF und davon noch der größte Teil auf die rostfreien Produkte, die weit überwiegend im Elektrolichtbogenverfahren gemacht werden.
Natürlich hier auch mit sehr, sehr aufwendiger Schrottsortierung, um die Qualitäten und die Legierungen dann herzustellen, die bei rostfrei Produkten gefordert sind.

Ute Neuhaus: Noch mal kurz zur Erklärung BOF heißt Hochofenroute, das heißt, dort wird das Eisen mit Koks reduziert und EAF ist der Elektrolichtbogenofen, der Electric Arc Furnace, wo eben mit elektrischer Energie und mit Schrott gearbeitet wird. Wenn Sie sagen, EAF im Moment für rostfreien Stahl. Das heißt aber, die übrigen Mengen, Waelzholz hat ja ein großes Produktportfolio, stammen dann nicht aus EAF?

Herr Dr. Gierse: Weit überwiegend nicht. Wie ich gerade sagte: etwa 5 % unserer Bezugsmengen kommen aus dem EAF, davon der größere Teil sind rostfreie Produkte. Vielleicht sprechen wir bei 1 bis 2 % unserer Gesamtbezugsmengen, die aus EAF stammen, für die C-Stahl-Anwendungen. Also weit überwiegend BOF

Ute Neuhaus: Das heißt aber auch, dass die die Mengen, die großen Mengen aus dem BOF stammen. Das heißt, Frau Sieverdingbeck, Sie sagten BOF ist das, was Salzgitter auch im Moment noch in Betrieb hat. Was verändert werden muss, um tatsächlich ein, ja, klimaneutraleres oder grüneres Stahlprodukt herstellen zu können. Und ich glaube, es gibt da auch ein Projektnamen dafür. Vielleicht mögen Sie noch mal kurz erklären, wie das bei Salzgitter funktioniert und wie Sie sich das als Ziel gesetzt haben und welches Projekt Sie dahinterstehen haben.

Sandrina Sieverdingbeck: Das ist das SALCOS-Projekt, was wir auch gestartet haben, wo wir mittendrin sind, dieses umzusetzen. Das Ganze in drei Stufen bis 2033. Wofür steht SALCOS? Salzgitter Low CO2 Steelmaking. So der Programmname. Kurz noch mal zum Hintergrund: Wir produzieren ja jährlich 4,5 Millionen Tonnen Rohstahl und dabei emittieren wir eben auch 8 Millionen Tonnen CO2. Zum Vergleich: Das ist etwa 1 % der Gesamtdeutschen Emissionen jährlich. Und damit wir eben davon wegkommen, müssen wir einfach auch unsere Technologie in der Metallurgie umstellen. Heute wird eben in der Hochofentechnologie, auf der Hochofenroute, Eisenerz mittels Koks reduziert. Und das ist eben dann dieser CO2 Treiber. Wir setzen auch heute bereits Schrott ein als Kühlmittel. Das ist aber technisch begrenzt. Also wir können maximal 20 % Schrott in der BOF-Konverter-Route entsprechend einsetzen. Wie schon gesagt, künftig werden wir auf Basis der EAF-Elektrolichtbogenofen-Route produzieren. Hier werden wir dann auch flexibler sein im Einsatz vom Primär- und Sekundärrohstoff. Das heißt, wir werden künftig auch in der Lage sein, höhere Schrottmengen in der Elektrolichtbogenofenroute einzusetzen.

Ute Neuhaus: Herr Dr. Gierse, werden Sie dann zukünftig gezielt Materialien mit mehr Schrotteinsatz bestellen? 

Herr Dr. Gierse: Das kann durchaus ein Weg in der Zukunft sein. Wir stehen heute vielfach in den Zulieferrouten für die Automobilindustrie bereits unter der Forderung, Recyclingquoten anzugeben, einzuhalten. Da muss man allerdings gestehen, dass wir da ganz am Anfang der Kette stehen. Aktuell wissen wir überhaupt nicht, wie viel recyceltes Material sich in dem von uns gekauften Warmband befindet. Das wird uns von unseren Lieferanten zumindest aktuell noch nicht gesagt. Um ehrlich zu sein, bezweifle ich persönlich, dass die aktuellen Lieferanten es selber wissen, wie viel recyceltes Material in dem Stahl ist und wie wir aus einer Massenbilanz wissen wie viel Schrott habe ich eingesetzt, um eine bestimmte Stahlmenge zu fertigen. Auf das Produkt bezogen, auf den Artikel bezogen, ist das heute nicht bekannt. Es kann aber gut sein, dass sich daraus Anforderungen für die Zukunft entwickeln, die uns am Ende des Tages dazu verpflichten, das auszuweisen.

Ute Neuhaus: Jetzt haben wir vorhin schon ein paar Mal gehört, dass der Schrott aber gar nicht wirklich ausreicht. Und wenn Schrott dann auch so eine Währung werden sollte, dass man sagt, ich muss das ausweisen und muss bestimmte Quoten erreichen, dann sind wir jetzt wirklich mal beim Thema Verfügbarkeit. Herr Dr. Gierse, wieso gibt es denn eigentlich zu wenig Schrott bzw. auch zu wenig hochwertigen Schrott?

Herr Dr. Gierse: Ja, im Wesentlichen hängt das verfügbare Schrottvolumen von drei Faktoren ab. Einmal ist das die historische Stahlproduktion, und zwar sprechen wir da von der Stahlproduktion von vor etwa 40 bis 45 Jahren. Die aktuelle Produktion ist mitentscheidend und die Recyclingquote. Die drei Faktoren, die letztlich das weltweite Schrottaufkommen bestimmen. Und da ist eben so, dass die heute verfügbare Schrottmenge aus Neuschrotten, genauso wie aus Sammelschrotten, bei weitem nicht ausreicht, um den Bedarf, der in der Stahlindustrie zur Erzeugung von Frischstahl entsteht, zu decken. Und das wird auch bei wachsendem Schrottaufkommen in den nächsten Jahren nicht ausreichen. Laut World Steel war im Jahr 2023 das Schrottaufkommen aus gesammeltem Schrotten bei ungefähr 450 bis 500 Millionen Tonnen. Da kommen dann noch so Größenordnung 200 bis 250 Millionen Tonnen an Neuschrotten aus Abfällen und der Stahlerzeugung und der Stahlweiterverarbeitung hinzu, so dass wir über circa 700 Millionen Tonnen Schrott im Jahr 2023 sprechen. Mehr als 50 % aller produzierten Stahlprodukte gehen in Infrastruktur - und Infrastrukturen sind eben sehr, sehr langlebig. Das heißt, wir sprechen hier nicht über das recycelte Auto, über die Waschmaschine, den Wäschetrockner, sondern über Häuser, Brücken, über Straßen. Und deshalb ist die Rücklaufgeschwindigkeit des Schrotts ebenso langsam.

Ute Neuhaus: Ja, jetzt wird ja das Schrottaufkommen begrenzt. Die Schrottnachfrage nimmt aber sicherlich zu, denn es gibt ja einmal politische Rahmenbedingungen und es gibt aber auch die Möglichkeit, Schrott und vielleicht auch Primärstahl, Primärerze, auszutauschen. Was folgt denn daraus konkret für die Unternehmen? 

Sandrina Sieverdingbeck: Das ist richtig. Die Regulierung treibt zunehmend den Wunsch, Sekundärmaterial stärker einzusetzen. Die EU hat dafür den Circular Economy Action Plan aufgestellt und die Elektrifizierung der Stahlrouten führt eben dazu, dass Schrott flexibler eingesetzt wird. Das heißt, die Nachfrage nach Schrott wird entsprechend steigen. Wie das Ganze sich nun entwickelt? Die Frage, die haben wir uns auch gestellt und wir haben hier zusammen mit einem externen Partner ein Schrottprognose-Modell bis 2035 modelliert, um zu sehen, wie entwickelt sich denn Angebot und Nachfrage in Deutschland, in der EU, aber auch weltweit. Es wird ein Überangebot an Altschrott geben und das resultiert eben daraus, dass die Anwendungen, die zunehmend in den Kreislauf gekommen sind, mit zunehmender Stahlproduktion im Laufe der Zeit dann wieder ihr Lebensende finden und dem Stahlzyklus zugeführt werden. Betrachten wir das Thema Neuschrott, müssen wir allerdings feststellen, es wird künftig, und das auch schon in naher Zukunft, eine Lücke geben, eine Neuschrottlücke.
Das heißt, der Bedarf ist höher als das Angebot. Und Flachstahlanwendungen, hochqualitativ, wie sie eben auch von Waelzholz eingesetzt werden, die brauchen überwiegend Neuschrott. Die Produktion in der EU, die wird nicht wachsen. Ja, ganz im Gegenteil, wir erwarten auch zunehmend verbesserte Recyclingraten. Das heißt, der Anfall von Neuschrott wird begrenzt bleiben.

Ute Neuhaus: Sind denn wirklich alle Quellen genutzt?
 
Sandrina Sieverdingbeck: Ja, tatsächlich. Die Verwertungsrate von Stahlanwendungen ist sehr, sehr hoch. Lediglich 2 % werden nicht genutzt. 

Herr Dr. Gierse: Alles andere wäre auch überraschend, weil Schrott gerade Neuschrotte. Das ist ein Wirtschaftsgut, das werthaltig ist. Und natürlich werden sich alle Stahlverarbeiter, bei denen Schrott anfällt, darum bemühen, dieses werthaltige Gut in vernünftiger Form zu vermarkten. 

Ute Neuhaus: Ja, wie passt das denn dann zusammen, wenn wir dann wiederum an die Regulierung denken? Altauto-Richtlinie fällt mir da ein. Und Vorgaben für Recyclingquoten. Machen wir das dann hier in Europa sozusagen wie so ein EU-Loop, Dr. Gierse?

Herr Dr. Gierse: Ja, das ist ja sicherlich eine nachvollziehbare und auch keine falsche oder schlechte Idee. Man muss dabei nur das Augenmaß bewahren. Es ist keinem damit gedient, wenn Recyclingquoten festgelegt werden, die man gar nicht produzieren kann, weil die dafür erforderlichen Schrottmengen nicht zur Verfügung stehen. Wir agieren international, weltweit. Und da ist völlig klar: Wir brauchen ein umfassendes Verständnis von Recycling und ein umfassend durchgeführtes Recycling, werden letztendlich aber nicht daran vorbeikommen eben auch Frischproduktion basierend auf zum Beispiel DRI, grünen Wasserstoff oder DRI-Gas als entscheidendes Element mit in die Überlieferungsstrategien aufzunehmen. 

Ute Neuhaus: Dann würde ich gern doch noch mal auf das Thema Regulierung kommen. Was müsste denn passieren auf politischer Ebene?

Sandrina Sieverdingbeck: Das Bestreben der EU, die Kreislaufwirtschaft zu fördern, ist ja grundsätzlich zu begrüßen, insbesondere wenn es darum geht, Stahlanwendungen recyclingfreundlich zu designen und Anreize zu schaffen, die zu einer besseren Sortierung führen. Das ist letztendlich auch ein Sicherheitsthema, denn zunehmend gibt es Fehlwürfe von Lithium-Ionen-Akkus in den Haushaltsmüll. Und das führt dann leider Gottes zu brennenden Schrottplätzen am Ende. Und es gibt so eine Einschätzung des Bundesverbandes der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft, dass es täglich tatsächlich bundesweit bereits zu 30 solcher Bränden kommt. Ja, wo kann Politik noch eingreifen? Also es gibt ja auch zunehmend die Rufe, ein Exportverbot für Schrott einzuführen. Und das bedeutet einfach strengere Exportregeln, um den heimischen Schrottmarkt zu stärken und mehr Schrott lokal zu verwerten. Doch wir haben künftig weiter einen Überhang an Altschrotten. Von daher ist es doch auch weiterhin sinnvoll, dass solche Schrottsorten entsprechend von ausländischen Baustahl-Herstellern aufgenommen und wiederverwertet werden sollen. Deshalb warum sollte hier Export verboten werden? 

Herr Dr. Gierse: Letztlich haben aber solche Exportverbote doch ihre Tücken. Dazu würde ich gerne mal ein Beispiel geben. Die Türkei hat im letzten Jahr 34 Millionen Tonnen Stahl produziert, davon ungefähr 3/4 im EAF. Das führt dann letztlich zu einem Schrottbedarf in der Türkei, der bei ungefähr 26 Millionen Tonnen pro Jahr liegt. Den kann die Türkei, weil sie als junge Volkswirtschaft diese Schrottaufkommen nicht hat, bei weitem selber nicht decken. Das heißt etwa 3/4 der benötigten Schrottmengen werden importiert. Würde die EU ein Exportverbot ergehen lassen für Schrott, dann würde das bedeuten, dass große Teile der türkischen Stahlindustrie stillgelegt würden. Das halte ich für politisch nicht durchsetzbar, um ganz ehrlich zu sein.

Ute Neuhaus: Bei allen Themenfeldern rund um grünen Stahl sehen wir eins immer wieder Es ist komplex und vielschichtig. Wir nähern uns damit dem Ende dieser Podcastfolge. Ich habe von Ihnen, Frau Sieverdingbeck, einen Einblick bekommen, wie die Prozesse für das Sammeln, Aufbereiten und Verwenden von Stahlschrott bei der DEUMU überhaupt funktioniert.
Wir haben zusammen diskutiert, welche Voraussetzungen es braucht, damit man bei der Stahlerzeugung überhaupt mehr Schrott einsetzen kann und damit auch grüneren Stahl produzieren kann. Auch dass es da technisch viel Potenzial gibt, dass die Maßnahmen natürlich Geld kosten und dass die Stahlindustrie dieses Potenzial aber heben möchte. Wir haben aber auch über den großen Showstopper gesprochen, den begrenzenden Faktor, nämlich die nicht ausreichende Mengenverfügbarkeit. Und das bleibt dann wohl der größte Knackpunkt für eine Ausweitung des globalen Recyclinganteils. Und das führt zu der Frage, wie politische Vorgaben der EU mit dem knappen Gut Stahlschrott denn überhaupt erfüllbar sind. Ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen, Frau Sieverdingbeck, Dr. Gierse, für Ihre Zeit und dafür, dass Sie die verschiedenen Aspekte und Zusammenhänge rund um das Thema Stahlschrott so anschaulich erklärt haben und uns nähergebracht haben. Natürlich sind damit nicht alle Fragen von „steel to zero“ beantwortet. Wir haben heute über die Altauto Richtlinie über EU-Vorgaben für Recyclingquoten gesprochen und aktuell beschäftigt auch eine weitere EU-Richtlinie alle, die mit Stahl zu tun haben. CBAM, das europäische Grenzausgleichssystem für CO2-Emissionen. Die dahinterstehenden Ideen, die Chancen und Risiken für europäische Unternehmen und in dem Zusammenhang auch die Entwicklungen der globalen Stahlindustrie hin zur Klimaneutralität diskutieren wir in einer weiteren Folge unseres Podcast „Steel to Zero“ - mit jemandem, der auf wissenschaftlicher Basis Strategien und Instrumente entwickelt für die Transformation hin zur klimaneutralen Industrie und der gerade deshalb über die neuesten Entwicklungen und Ideen bestens informiert ist.

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, vielen Dank, dass Sie bei dieser Folge dabei waren. Bleiben Sie auch weiterhin gut informiert und abonnieren Sie den Nachhaltigkeitspodcast „Steel to Zero“ von Waelzholz.

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Folge 3 – Ohne geht es nicht: Welche Rolle Stahl in einer nachhaltigen Wirtschaft einnimmt

13.10.2022

Wieviel CO2-Emissionen verursachen alltäglich genutzte Produkte wie Waschmaschinen und Backöfen in der Herstellung und im laufenden Betreib? Hier kommt es auf einen niedrigen Stromverbrauch an, aber auch auf eine möglichst gute Klimabilanz der eingesetzten Werkstoffe wie Stahl. Welche Bedeutung moderne Stahlwerkstoffe von Waelzholz für das Unternehmen Miele als führenden Hersteller von Haushaltsgeräten im Zusammenhang mit der CO2-Reduzierung haben, darüber sprechen wir in dieser Podcast-Folge.

Gäste:
Konstantin Eckert (Director Procurement Production Material bei der Miele & Cie. KG)
Dr. Matthias Gierse (Geschäftsführer Vertrieb und Einkauf der C.D. Wälzholz GmbH & Co. KG)

Moderation:
Ute Neuhaus

Podcast Folge 3 in Schriftform


OHNE GEHT ES NICHT: WELCHE ROLLE STAHL IN EINER NACHHALTIGEN WIRTSCHAFT EINNIMMT

[Titelmelodie]

Ute Neuhaus: Steel to Zero – Wie der Stahl grün wird. Der Nachhaltigkeits-Podcast von Waelzholz.

[Titelmelodie]

Ute Neuhaus: Wie wasche ich meine Wäsche wirklich nachhaltig? Bei dieser Frage kommt einem der Eco-Waschgang und das Waschmittel mit Blauem Engel in den Sinn – grüner Stahl wohl eher nicht. Doch genau der hat auch Auswirkungen darauf, wie klimafreundlich die Waschmaschine in unserem Keller ist. Wie wichtig ist also grüner Stahl für die Transformation der Industrie? Was ist erforderlich, um grüner zu werden? Und welche Rolle nehmen die Endverbraucherinnen und Endverbraucher auf dem Weg zu diesen nachhaltigeren Produkten ein? Um diese Frage geht es in der dritten Folge des Nachhaltigkeitspodcast Steel to Zero.

[Titelmelodie]

Ute Neuhaus: Ich bin Ute Neuhaus und freue mich darauf, heute mit zwei Gästen zu sprechen, die nicht nur eine lange Geschäftsbeziehung verbindet, sondern auch ihr Fokus auf Nachhaltigkeit. Im Studio sind Konstantin Eckert, verantwortlich für den Stahleinkauf bei Miele, einem der weltweit führenden Hersteller von Hausgeräten mit Sitz in Gütersloh. Hallo Herr Eckert.

Konstantin Eckert: Hallo Frau Neuhaus, freut mich. Vielen Dank für die Einladung.

Ute Neuhaus: … und Dr. Matthias Gierse, Geschäftsführer beim Kaltwalzwerk Waelzholz in Hagen, das Miele mit speziellen Stahlwerkstoffen beliefert. Hallo Herr Dr. Gierse.

Dr. Matthias Gierse: Hallo Frau Neuhaus, grüße Sie auch.

Ute Neuhaus: Nachhaltigkeit ist seit der Gründung von Miele und bis heute zentraler Kern der Unternehmens-DNA. Bei den Elektromotoren der Premium-Hausgeräte kommt hochwertiges Elektroband zum Einsatz, beispielsweise von Waelzholz.

Herr Eckert, in 2021 hat Miele mehr als sechs Millionen Geräte weltweit verkauft – in vielen davon steckt Stahl. Miele ohne Stahl – geht das überhaupt?

Konstantin Eckert: Die Antwort ist einfach: Nein, das geht nicht. Also, die gesamte Produktpalette, wenn Sie an die Waschmaschine, den Backofen etc. denken, ist abhängig vom Stahl, verbaut Stahl und ist auch ohne Stahl nicht denkbar. Um da vielleicht mal eine Größenordnung, wie viel Stahl Miele einkauft, zu nennen: Das waren im Jahr 2020 ungefähr 110.000 Tonnen Metalle, die wir eingekauft haben. Das ist vielleicht für die Automobilindustrie im Vergleich jetzt nicht so viel – für uns ist das relativ viel. Wenn man sich das in Autos vorstellt, ist es auch relativ viel. So ein Auto wiegt irgendwo in der Mittelklasse 1,5 Tonnen, das heißt wir reden hier von 70.000 Fahrzeugen aneinandergereiht als Äquivalenz zu der Stahlmenge, die wir eingekauft haben.

Ute Neuhaus: Ja, und in den Motoren dieser Hausgeräte von Miele kommt ein spezieller Stahl zum Einsatz, nämlich Elektroband. Und das eben auch von Waelzholz. Was ist für Sie denn das Besondere an genau diesem Material?

Konstantin Eckert: Miele zeichnet sich dadurch aus, dass wir eine relativ hohe Fertigungstiefe haben. Sie haben das angesprochen: Wir bauen unsere Motoren selbst. Das heißt, wir sind abhängig von qualitativ sehr hochwertigen Vorprodukten, die wir dann selber weiterverarbeiten. Miele – ich denke, das ist bekannt – hat einen hohen Anspruch an die Qualität unserer Endprodukte und die wiederum ist direkt verbunden mit den angesprochenen Vorprodukten. Und genau für diese Elektromotoren brauchen wir Elektrostahl.

Dr. Matthias Gierse: Ja, und wir versuchen, mit unseren Elektrobandlieferungen, mit hochqualifizierten Produkten, die Langlebigkeit und die Effizienz dieser Motoren positiv zu beeinflussen. Und zwar kann man durch Verringerung der Materialdicke die Wirbelstromverluste minimieren, so entsteht beim Betrieb des Motors weniger Wärme. Daraus resultiert eine höhere Effizienz des Motors.

Ein anderer Aspekt ist Walzen in engsten Toleranzen. Dies ermöglicht dann schließlich, dass man die ausgestanzten Bleche zu Statorpaketen mit einer sehr hohen Formstabilität und Genauigkeit verbinden kann, was die Lebensdauer des Motors auch positiv beeinflusst.

Ute Neuhaus: Ich nehme also mit: Hohe Qualität beim Stahl erhöht einmal die Energieeffizienz und auch die Lebensdauer der Hausgeräte. Ohne diesen Stahl geht’s also nicht. Und Stahl ist ja glücklicherweise auch recyclingfähig. Wie ist das denn bei Miele: Wird der Stahl aus Ihren Produkten wiederverwendet?

Konstantin Eckert: Das fängt an mit der Lebensdauer, nehme ich mal das Beispiel der Waschmaschine: Da ist Miele traditionell ausgerichtet, hier die längste Lebensdauer zu bieten. Wir sind das einzige Unternehmen in der Branche, das seine Produkte auf eine Lebensdauer von bis zu 20 Jahren testet. Das wird auch unterstützt durch die Reparierbarkeit der Produkte. Wir haben selbstverständlich auch einen Ersatzteilservice, auch für Geräte, die vor vielen, vielen Jahren ihre Markteinführung hatten. Und wenn es am ganz Ende doch dazu kommt, dass man sich von einem Gerät trennt, dann sorgen wir über unser Händlernetz dafür, dass insbesondere die Stoffe, die recycelt werden können, auch dem Kreislauf zurückgeführt werden. Und das ist, Sie haben’ es genau richtig angesprochen, Stahl natürlich.

Ute Neuhaus: Da ist Recycling ja sicherlich insgesamt ein großes Thema bei Miele. Langlebigkeit – natürlich, man soll die Produkte lang benutzen. Aber wie schaut es aus, wenn Sie jetzt neue Produkte konzipieren, wie sieht es aus mit Recyclingfähigkeit aller möglichen Komponenten?

Konstantin Eckert: Im Produktentwicklungsprozess spielt das bei Miele eine entscheidende Rolle, dort die Weichen so zu stellen, dass am Ende ein Produktdesign konzipiert und gebaut wird, das Materialien verwendet, die sich eben durch die Recyclingfähigkeit auszeichnen.

Ute Neuhaus: Ja, Stahl ist also ein vielseitiger Werkstoff: Hohe Qualität, wunderbar recycelbar. Wäre also perfekt, wenn da nicht die hohen CO2-Emissionen wären, die bei der Herstellung entstehen – was damit auch den CO2-Fußabdruck der Miele-Produkte verschlechtert. Was tun Sie denn bei Miele, um Ihren Product Carbon Footprint zu verringern?

Konstantin Eckert: Das müssen wir und das wollen wir. So, was heißt das konkret in Zahlen? Wir haben vor, die CO2-Emissionen im Scope Eins und Zwei bis 2030 um 50 Prozent zu senken gegenüber der Basis 2019. Wir sind jetzt schon seit 2021 in der Bilanz CO2-neutral, bezogen auf den Scope Eins – also alles, was bei uns selber im Unternehmen entsteht, rund um die Fertigung und Assemblierung unserer Produkte – und auch den Scope Zwei – das betrifft alles, was wir an Energie von externen Quellen beziehen. Wir haben’ es in der Vergangenheit schon geschafft, gegenüber 2019 die Emissionen aus Scope Eins und Zwei um 40 Prozent zu senken. Weiter geht’s!

Ute Neuhaus: 40 Prozent seit 2019 ist ja schonmal ein hoher Wert. Was konkret haben Sie gemacht?

Konstantin Eckert: Wir haben natürlich in die Energieeffizienz unserer eigenen Standorte investiert. Wir haben die erneuerbare Energienutzung deutlich erweitert. Es geht natürlich auch mit unserem Partner Waelzholz an das Thema Emissionen im Scope Drei-Punkt-Eins, also sprich in der Lieferkette.

Ute Neuhaus: Das wäre auch das, worauf ich jetzt nochmal zurückkommen wollte: Was beinhaltet bei Ihnen Scope Drei?

Konstantin Eckert: Jetzt haben wir schon so viel über Scope Eins, Zwei, Drei geredet… Man sortiert ja die CO2-Emissionen eines Unternehmens in diese verschiedenen Scopes, um zu analysieren, wo sie denn herkommen, diese CO2-Emissionen. 85 Prozent aller CO2-Emissionen, die Miele zugerechnet werden, entstehen durch die Nutzung der Geräte bei unseren Kundinnen und Kunden über die Lebensdauer. Bei diesen CO2-Emissionen, das haben wir schon kurz angesprochen, sind wir schon sehr gut aufgestellt. Die Langlebigkeit der Geräte zahlt massiv positiv auf die CO2-Bilanz der Geräte ein. Wenn Sie eine Waschmaschine zehn Jahre nutzen, haben Sie eine ganz andere CO2-Bilanz, als wenn Sie sie 20 Jahre nutzen.

Ute Neuhaus: Also ich lerne gerade, Scope Drei bei Miele heißt im Wesentlichen: Kunden, Kundenseite, Verbraucherinnen, Verbraucher. Auf der anderen Seite geht es aber beim Stahl dann auch um Scope Drei. Das heißt das, was Sie zukaufen. Wie schaut es denn da aus?

Konstantin Eckert: Ja, Stahl ist mit über 30 Prozent die Warengruppe, die den höchsten CO2-Emissionsanteil in unseren eingekauften Materialien hat. Sprich, und das ist jetzt die Überleitung zu Ihrer Frage: Grüner Stahl ist hier ein möglicher Weg für uns, massiv CO2-Emissionen zu reduzieren. Und genau diesen Weg werden wir als Unternehmen gehen. Natürlich in Zusammenarbeit mit der Industrie, weil wir sind ja abhängig von unseren Partnern, unseren Lieferanten, uns auch diesen grünen Stahl zur Verfügung zu stellen. Wir haben jetzt beispielsweise schon für unsere Backöfen, für ein Einbauteil dort, CO2-armen Stahl. Wir haben mit diesem Stahl, den wir da verbauen, die CO2-Emissionen um 66 Prozent verringert.

Ute Neuhaus: Da nehme ich mit, dass grüner Stahl oder Stahl in Summe schon einen Impact hat, einen Einfluss darauf, wie grün die Miele-Produkte letztendlich werden können. Und da sind wir dann beim Wertschöpfungsnetzwerk Stahl. Herr Dr. Gierse, wie schaut es denn da aus, mit Scope Drei bei Waelzholz?

Dr. Matthias Gierse: Ja, die Scope-Drei-Emissionen bei Waelzholz entstehen beim Einkauf unserer Vorprodukte, unserer Rohmaterialien, im Wesentlichen Warmband. Wir machen aus einem Warmbandring, aus einem Warmbandcoil, in der Regel eine Vielzahl unterschiedlicher Kundenaufträge mit zum Teil auch sehr unterschiedlicher Fertigungstiefe. Aus dem Grund ist es eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, den eingekauften CO2-Footprint, also die Scope-Drei-Belastung, korrekt auf jeden dieser einzelnen Kundenaufträge überhaupt aufzuteilen.

Beim Warmband resultieren die Emissionen aus der Rohstahlerzeugung. Wenn wir unsere Bilanz anschauen, dann haben wir einen Anteil von etwa 90 Prozent, der auf den Scope Drei, also auf zugekaufte CO2-Emissionen entfällt. Wir sehen, dass damit Scope Drei, also der Zukauf von Rohmaterialien, den mit Abstand größten Hebel bei unserem Weg in Richtung Klimaneutralität bietet. Wir erproben CO2-reduziertes Material aus unterschiedlichen Routings und teilen natürlich auch die Verarbeitungsergebnisse mit unseren Lieferanten, um zu unterstützen, diesen Weg weiterzugehen.

Ute Neuhaus: Ja, bei Miele, wir haben das vorhin schon gehört, ist die Verarbeitungstiefe hoch. Das heißt, grüner Stahl wird auch direkt beeinflussen, dass Miele-Produkte grün werden können. Das heißt aber auch, in diesem Wertschöpfungsnetzwerk, in dieser Wertschöpfungskette müssen Sie Einfluss nehmen. Herr Eckert, wie machen Sie das?

Konstantin Eckert: Ich würde das gern noch aufgreifen, was Sie am Anfang gesagt haben, einfach, um das nochmal zu betonen. Also: Sowohl Miele wie auch alle anderen, wie auch die Automobilindustrie, werden darauf angewiesen sein, grünen Stahl einzukaufen, wenn sie an die CO2-Emissionen in ihrem Einkaufsportfolio rangehen wollen und das nachhaltig verbessern wollen, da führt kein Weg dran vorbei. Da steckt eine riesige Transformation der Stahlindustrie dahinter. So, und was wir als Miele tun, ist auf die Stahlhersteller einzuwirken und zu sagen: „Wir möchten mit euch den Weg zu grünem Stahl gehen.“ Wir müssen auch darauf achten, dass wir Produkte bauen, die der Markt kaufen kann und kaufen möchte, aber ich persönlich bin fest davon überzeugt, dass es der richtige Weg ist, den die Industrie hier eingeschlagen hat.

Ute Neuhaus: Das ist eine sehr zuversichtliche Perspektive und es ist ja so, es nützt nichts, wenn der Stahl letztendlich zu 66 Prozent grün ist, sondern er muss komplett grün sein. Nimmt denn Miele, Herr Dr. Gierse, mit diesen hohen Anforderungen einmal an die Produktqualität, aber auch mit den Forderungen nach grünem Stahl eine Sonderstellung ein?

Dr. Matthias Gierse: Miele hat schon sehr hohe Anforderungen an uns, was aber auch nicht verwundert, weil unsere Materialqualität letztlich die Nachhaltigkeit der Produkte bei Miele ja auch direkt beeinflusst. Wir haben aber auch hohe Ansprüche an uns selbst: Klimaneutralität bis 2045 sicherzustellen. Wir können belastbare Aussagen zur Klimabilanz unserer Produkte geben und das sehen wir als ein Teil unserer industriepolitischen Verantwortung, aber auch natürlich als Service für unsere Kunden. Das heißt, wir können heute unseren Kunden den Product Carbon Footprint für jeden Artikel einzeln nennen. Letztlich glauben wir, dass es sehr wichtig ist, die CO2-Bilanz unserer Produkte transparent zu machen, damit am Ende des Tages alle wissen: An welchen Zahlen muss gearbeitet werden und in welcher Form sind dann tatsächlich Reduzierungserfolge auch messbar.

Ute Neuhaus: Also ich lerne gerade, dass der Weg hin zur Klimaneutralität nur ein gemeinsamer sein kann. Alle im Wertschöpfungsnetzwerk Stahl müssen zusammenarbeiten, es greift doch alles ineinander. Diese Partnerschaft zwischen Miele und Waelzholz ganz konkret, ist das das Ergebnis der langjährigen Zusammenarbeit oder ist das jetzt schlicht eine Notwendigkeit?

Dr. Matthias Gierse: Sowohl als auch. Uns verbindet eine langjährige partnerschaftliche Zusammenarbeit und wir glauben, wir haben auch ein gleiches Verständnis von gesellschaftlicher Verantwortung und von Nachhaltigkeit. Man muss sicherlich auch konstatieren, dass die Stahlbranche entlang der gesamten Wertschöpfungskette zusammenarbeiten muss. Deshalb haben wir großes Interesse daran, an der Transformation der Stahlindustrie, die ja schon im Gange ist, mitzuwirken und uns da aktiv einzubringen. Aber auch Wirtschaft und Politik müssen da an einem Strang ziehen, um die Chance zu haben, den Zielen des Pariser Klimaabkommens auch nur näher zu kommen.

Konstantin Eckert: Sehe ich genauso. Wir haben natürlich eine Verpflichtung, aber auch eine Möglichkeit als Premium-Hersteller, hier Nachhaltigkeit mit voranzutreiben. Es gibt einen Satz bei uns im Unternehmen, aus der Geschäftsführung, der da sagt: „Man wird in naher Zukunft nicht mehr zwischen Wirtschaftlichkeit und nachhaltigem Handeln trennen können.“ Das sind zwei Seiten derselben Medaille.

Meine Kinder – ich habe zwei – die werden noch einige Jahrzehnte länger als ich auf dieser Erde leben und ich hoffe sehr, dass diese Dynamik der letzten Jahre noch irgendwie bremsbar ist. Ich mag mir nicht vorstellen, wie es sonst in 30 Jahren aussieht. Und wenn wir den Stahl nicht hinkriegen, dann werden wir uns schwertun mit dem Rest. Und das ist ganz klar: Es wird ohne grünen Stahl nicht funktionieren.

Ute Neuhaus: Herr Eckert, Sie haben es gerade schon leidenschaftlich beschrieben und, sagen wir mal, Ihre Sicht geäußert als Familienvater, als Verbraucher, als derjenige, der ja mit den Konsequenzen umgehen muss. Das heißt, wir kommen jetzt mal zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern: Wie sehen die denn die grünen Produkte, wie nachhaltig sind Ihre Kundinnen und Kunden, was sind die Forderungen?

Konstantin Eckert: Ich denke, man darf sagen, wenn sich ein Kunde für die Marke Miele entscheidet, dann steckt dahinter eine bewusste Entscheidung – auch mit dem Anspruch, nachhaltige Produkte zu kaufen. Und dieser Anspruch, der wächst. Die Menschen wollen nachhaltige und ressourceneffiziente Produkte, um eben ihren eigenen Beitrag für die Umwelt und das Klima zu leisten.

Ute Neuhaus: Verbraucherinnen und Verbraucher, da komme ich jetzt nochmal zu einem anderen Aspekt, die sind ja auch Bewerberinnen und Bewerber. Spielt das eigentlich auch eine Rolle bei Ihrem Recruiting, bei den Fachkräften, die Sie gewinnen wollen? Stellen diejenigen, die sich bewerben, auch Fragen in Richtung Nachhaltigkeit bei Miele?

Konstantin Eckert: Kann man ganz klar mit „Ja“ beantworten. Also, es ist ja im Allgemeinen schon so zu beobachten, dass sich gerade in den letzten Jahren die Bewerber und ihre Bedürfnisse bezüglich ihres neuen Arbeitgebers ein bisschen gewandelt haben. Es geht auch viel um Vereinbarkeit von Beruf, Familie etc., Entwicklungsmöglichkeiten, Lernmöglichkeiten, aber eben, genau wie Sie angesprochen haben, Frau Neuhaus, das Thema Nachhaltigkeit. Und wir bewerben ganz konkret das Thema ‚Veränderung CO2-Footprint Einkaufsmaterial‘ bei Miele. Hier habt ihr die Möglichkeit, aktiv einen Beitrag zu leisten. Und das ist etwas, was viele begeistert beziehungsweise interessiert.

Ute Neuhaus: Wie machen Sie das intern wahrnehmbar? Gibt’ es da Beispiele, was Sie so tun, so ganz konkret zum Anfassen?

Konstantin Eckert: Das geht los mit – ich gebe Ihnen jetzt mal ein Beispiel – mit Aktionstagen: Es gibt einen autofreien Tag. Das geht weiter mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich im Team mit der Nachhaltigkeit unseres Unternehmens auseinandersetzen und eine ganz wichtige Rolle spielen, indem sie uns als Unternehmen zeigen: Wo stehen wir, was sind unsere Ziele, wo wollen wir uns hin entwickeln als Unternehmen?

Ute Neuhaus: Also die Hersteller der Endprodukte, die Verbraucherinnen und Verbraucher und auch die Beschäftigten – alle kümmern sich um mehr Nachhaltigkeit, alle haben dieses Thema, ja, im Mindset, kann man sagen. Der Druck ist also auch auf die Stahlbranche hoch. Herr Dr. Gierse?

Dr. Matthias Gierse: Ja, vielleicht nochmal zwei Zahlen zum Stahl: Wir haben im Jahr 2021 nach neuesten Zahlen von Worldsteel knapp zwei Milliarden Tonnen Stahl weltweit produziert. Dabei sind mehr als drei Gigatonnen CO2 emittiert worden und das entspricht etwa acht Prozent der weltweiten Gesamtemissionen von CO2. Diese Zahlen zeigen auf, dass eine Reduzierung der ausgestoßenen Klimagase bei der Stahlproduktion zwingend notwendig ist, um den Pfad der Klimaneutralität global überhaupt nur beschreiten zu können.

Hierzu müssen allerdings wesentliche, zentrale Voraussetzungen geschaffen werden, weil in Zukunft nur grüner Stahl produziert werden kann, wenn bestimmte Grundbedingungen erfüllt sind. Und diesen Wandel muss die Politik natürlich mitbegleiten. Das muss auf breiter Ebene getragen sein, das kann die Stahlindustrie und die dahinterstehende Zulieferkette nicht alleine bewältigen. Wir haben ja einmal immense Investitionen in Stahlerzeugungsinfrastrukturen zu leisten; man spricht von einem Investitionsvolumen von etwa einer Milliarde Euro pro Millionen Tonnen. Die deutsche Stahlproduktion liegt bei ungefähr 40 Millionen Tonnen. Das ergibt 40 Milliarden Euro Investitionsvolumen, das alleine für Deutschland erforderlich wäre, um auf eine grüne Erzeugung umzustellen.

Hierfür ist grüner Wasserstoff in gigantischen Mengen erforderlich. Der grüne Wasserstoff würde dann benutzt, um damit den heute durch Kohlenstoff getragenen Prozess abzulösen. Wir brauchen also einmal die Erzeuger von Wasserstoff, von grünem Wasserstoff, die dafür erforderlichen grünen Strommengen, und last but not least brauchen wir natürlich auch eine Leitungsinfrastruktur, eine Pipelineinfrastruktur, die diese Wasserstoffmengen dann transportieren kann. Dafür wird es internationale Liefernetzwerke geben müssen. Das führt am Ende des Tages zu einer Verteuerung der Produktionsprozesse und wird die globale Wettbewerbsfähigkeit nicht nur der Stahlindustrie in Europa, sondern auch der Zulieferer, die dahinter sitzen, unter schwere Anspannung stellen.

Ute Neuhaus: Hohe Kosten – hohe Kosten für alles Mögliche: für Investitionen in den Werken, für Wasserstofferzeugung, für Infrastruktur… Ja, dann geht’s doch irgendwann ums Geld, es geht um Wettbewerbsfähigkeit. Und da ist die Frage, Herr Eckert: Wie hoch ist denn bei den Kunden die Bereitschaft, dafür auch Geld zu bezahlen?

Konstantin Eckert: Also, jetzt muss man natürlich in dem Zusammenhang dann auch mal konkret gegenrechnen: Was bringt mir denn die Langlebigkeit, die sehr guten Verbrauchswerte – nicht nur nachhaltig interessant, sondern auch aus einer finanziellen Sicht dann wiederum sehr interessant. Ich habe die Überzeugung, dass in spätestens zwei, vielleicht drei Jahren die CO2-Emissionen mit derselben Energie von den Einkaufsabteilungen dieser Welt vorangetrieben wird wie das Thema Euro. Der Euro war immer die bestimmende Größe für uns im Einkauf, das hat uns geleitet, dort haben wir unsere Ziele. CO2 wird genauso wichtig werden. Und wir werden unsere Lieferanten – Entschuldigung jetzt für den Ausdruck – aber damit konfrontieren. Wir werden nicht mehr nur über Kosten sprechen. Wir werden genauso mit derselben Energie, mit demselben Ressourcenaufwand über CO2-Emissionen sprechen. Und das wird Hand in Hand gehen, da bin ich fest überzeugt. Das ist ein Kulturwandel für uns im Einkauf und das ist ein Kulturwandel auf der Lieferantenseite.

Ute Neuhaus: Das heißt, ich würde mal so zusammenfassen: Es gibt dann nicht nur einen Markt für irgendwie Materialeigenschaften, sondern auch für CO2. Wie groß ist denn, mal so in der Breite der Kundschaft, die Nachfrage nach grünen Produkten und was kann Waelzholz anbieten, im Moment, jetzt schon?

Dr. Matthias Gierse: Die Nachfrage nach CO2-reduzierten Stahlprodukten ist in jeden Fall da und wir sehen auch, dass sie sukzessive ansteigt. Also, wenn wir jetzt über unseren Kunden Miele sprechen, der im Konsumergeschäft tätig ist, dann ist dort der Druck normalerweise größer als bei Kunden, die im B2B beispielweise Tier Supplier für die Automobilindustrie sind.

Ich persönlich bin fest überzeugt, dass sich die Nachfrage nach CO2-reduzierten und zukünftig dann auch CO2-freien Stählen in den nächsten Jahren ganz massiv entwickeln wird. Wir haben auch schon erste CO2-arme Warmbandcoils verarbeitet und haben da festgestellt, dass wir technisch, technologisch, keine Schwierigkeiten mit den Produkten haben, auch qualitativ zu guten Ergebnissen kommen. Die CO2-Einsparung kommt dadurch, dass Schrott eingesetzt wird als Rohstoff, und Schrott ist bilanziell eben mit CO2 gleich Null bewertet. Man muss aber sehr vorsichtig sein bei der Interpretation dieser Zahlen. Wir müssen uns darüber bewusst sein: Die weltweit verfügbare Schrottmenge ist begrenzt und wird zu 100 Prozent recycelt.

Wenn ich jetzt mehr EAF-Stähle verwende, dann führt das nicht dazu, dass die CO2-Emissionen global abgesenkt werden, sondern es führt nur zu einer unterschiedlichen Allokation. Also, im Grunde ist das ein Nullsummenspiel, zumindest im globalen Maßstab. Deshalb werden wir die ersten echten CO2-Einsparungen 2025/26 mit der ersten verstärkten Produktion von direktreduziertem Eisen erfahren. Das ist noch ein sehr, sehr weiter Weg. Es wird wahrscheinlich auch so sein, dass diese Direktreduktionsanlagen zunächst mal nicht mit grünem Wasserstoff betrieben werden können, weil es den zu der Zeit noch gar nicht gibt. Diese Anlagen müssten dann mit Gas als Reduktionsmittel betrieben werden, aber selbst das reduziert den Footprint der Stahlproduktion um ungefähr 50 Prozent.

Der Weg ist beschritten, der wird jetzt auch von allen großen europäischen Hüttenwerken gegangen und am Ende des Tages müssen wir im Einkauf dafür sorgen, dass wir uns die daraus resultierenden CO2-reduzierten Mengen sichern und dann auch vermarkten.

Ute Neuhaus: Wir haben schon gehört, der Weg ist nicht ohne Kosten zu beschreiten. Nachhaltigkeit hat ihren Preis. Ja, und wer zahlt ihn am Ende? Wenn man sich nochmal so auf den Stuhl des Verbrauchers setzt, bei Miele, werden dann die steigenden Kosten für den grünen Stahl an den Endverbraucher weitergegeben, an den Käufer der Produkte?

Konstantin Eckert: Jetzt mal wieder nur auf den Stahl geschaut, ist vielleicht ganz interessant, sich auch mal die Jahre ’21 und jetzt auch noch ’22 anzuschauen. Wir haben speziell in diesen Jahren eine Entwicklung am Stahlmarkt gesehen, die wir so noch nicht gesehen haben. Wir haben eine weitestgehende Entkopplung von Preisen und Herstellerkosten gehabt. Das heißt, die Verkaufspreise für Stahl sind massiv gestiegen und in derselben Höhe sind die Herstellerkosten nicht gestiegen. Etwas, das in dieser Form nicht an den Kunden komplett weitergegeben werden konnte – nein, das wird nicht komplett durchgereicht. Am Ende des Tages wird jeder in der Wertschöpfungskette so seinen Beitrag leisten müssen und die Hoffnung ist, dass sich die Stahlindustrie die eine oder andere Möglichkeit erwirtschaftet hat in den letzten zwei Jahren, um dieses Thema noch schneller voranzutreiben.

Ute Neuhaus: Herr Dr. Gierse, wie sehen Sie das denn?

Dr. Matthias Gierse: Also bei Rohstoffen und Energie ist eine Kostensteigerung völlig unausweichlich, was letztlich natürlich dann die Endprodukte auch verteuert. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass wir mittel- bis langfristig diese Kostenwelle durch die Lieferkette, durch die Liefernetzwerke durchreichen müssen, und der Endverbraucher die Zeche zahlen muss. Wir zahlen hier auf die Zukunft unserer Kinder und unserer Enkel ein. Die Aufgabe ist so groß, der Stein ist so schwer, der da gehoben werden muss, dass wir ihn alle schultern müssen.

Ja, mit Blick voraus: Ich persönlich bin zuversichtlich, dass wir in den nächsten fünf bis zehn Jahren da erhebliche Fortschritte machen werden, dass wir vielleicht 2030, 2035 tatsächlich große Schritte vorangekommen sind. Davon bin ich persönlich überzeugt.

Ute Neuhaus: Ja, wenn ich jetzt nochmal so resümiere, dann haben wir einerseits erfahren, was der vielseitige Werkstoff Stahl leisten kann, und dass exzellente Endprodukte auch exzellenten Stahl benötigen. Und dass er essenziell ist für viele Bereiche in unserem Leben und auch unter anderem dafür, dass eben die eingangs erwähnte Waschmaschine sparsam wäscht und lange hält – möglicherweise 20 Jahre.

Aber nur, wenn der Stahl grün wird, dann können die Endprodukte und die Unternehmen auch vollständig klimaneutral werden. Und Herr Eckert, Sie haben es treffend auf den Punkt gebracht: Nachhaltigkeit und Unternehmenserfolg werden zwei Seiten derselben Medaille sein. Steel to Zero ist also unausweichlich und die Transformation hat begonnen.

Wir haben von den Markt- und Technologieführern Miele und Waelzholz gehört, wie intensiv sie sich vorbereiten und auf welche Weise sie sich den Aufgaben stellen. Herr Eckert, Herr Dr. Gierse, ganz herzlichen Dank für Ihre Zeit, für die Ein- und Ausblicke, die Sie uns heute gegeben haben. Ich möchte mich nochmal ganz herzlich bei Ihnen beiden bedanken.

Konstantin Eckert: Das hat sehr viel Spaß gemacht, vielen Dank.

Dr. Matthias Gierse: Ganz herzlichen Dank, auch mir hat das sehr viel Spaß gemacht.

[Titelmelodie]

Ute Neuhaus: Wir haben verstanden: Grüner Stahl, dieses ambitionierte Ziel kann auch nur gemeinsam gelingen. Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, vielen Dank, dass Sie auch bei der dritten Folge unseres Podcasts Steel to Zero dabei waren.

[Titelmelodie]

Ute Neuhaus: Bleiben Sie gut informiert mit Steel to Zero, dem Nachhaltigkeits-Podcast von Waelzholz. Jetzt mit einem Klick anhören unter waelzholz.com/steeltozero. Und denken Sie daran: Waelzholz mit A E.

[Titelmelodie]

Abonnieren Sie unseren Nachhaltigkeitspodcast „Steel to zero: wie der Stahl grün wird“, um zukünftig keine Folge zu verpassen.
Grafische Illustrationen zur Nachhaltigkeit

Folge 2 – Den Footprint reduzieren: vom leichtfüßigen Stahl zur Klimaneutralität

29.09.2022

thyssenkrupp Steel ist mit jährlich etwa 11 Millionen Tonnen Rohstahl der größte Stahlerzeuger in Deutschland und hat aufgrund der energieintensiven Herstellungsprozesse einen erheblichen Einfluss auf den Product Carbon Footprint. In dieser Podcast-Folge beleuchten wir unter anderem die Verfahren, mit welchen thyssenkrupp bereits heute CO2-Emissionen einsparen kann, wie die Rohstahlherstellung bis 2045 klimaneutral werden soll und wie Waelzholz diesen Transformationsprozess mit Blick auf die gesamte Wertschöpfungskette begleitet.

Gäste:
Dr. Marie Jaroni (Head of Decarbonization & Sustainability bei thyssenkrupp Steel)
Dr. Heino Buddenberg (Vorsitzender der Geschäftsführung der C.D. Wälzholz GmbH & Co. KG)

Moderation:
Ute Neuhaus

Podcast Folge 2 in Schriftform


DEN FOOTPRINT REDUZIEREN: VOM LEICHTFÜSSIGEN STAHL ZUR KLIMANEUTRALITÄT

[Titelmelodie]

Ute Neuhaus: Steel to Zero – Wie der Stahl grün wird. Der Nachhaltigkeitspodcast von Waelzholz.

[Titelmelodie]

Ute Neuhaus: Stahl kochen – dieser Begriff hat eine lange Tradition, insbesondere hier bei uns im Ruhrgebiet. Ebenso wie die Kohle, die beim Stahlkochen im industriellen Maßstab seit jeher eine Hauptzutat ist und zum Rezept gehört. Doch durch dieses Verfahren, was ja bewährt ist, werden die Stahlhersteller auch zu großen CO2-Emittenten. Pro erzeugter Tonne Stahl entstehen etwa zwei Tonnen CO2. Das ist eine erhebliche Menge und das ist auch der Grund, warum die Hersteller im Wertschöpfungsnetzwerk Stahl das größte Potential haben. Sie können die meisten CO2-Emissionen reduzieren. Die große Aufgabe ist also, die Rezeptur zu ändern. Doch wie kann das neue Rezept aussehen, das es möglich macht, künftig grünen Stahl zu kochen? Welche Technologien braucht es dazu – und welches Umfeld? Was ist heute schon möglich und was ist langfristig das Ziel? Darüber möchte ich in der zweiten Folge unseres Podcasts „Steel to Zero“ sprechen.

[Titelmelodie]

Ute Neuhaus: Ich bin Ute Neuhaus und begrüße als meine Gäste ganz herzlich Frau Dr. Marie Jaroni, die sich als Head of Decarbonization bei thyssenkrupp Steel mit genau diesem Themenfeld beschäftigt…

Dr. Marie Jaroni: Hallo, Frau Neuhaus.

Ute Neuhaus: … und Herrn Dr. Heino Buddenberg, CEO beim Kaltwalzwerk Waelzholz.

Dr. Heino Buddenberg: Hallo, Frau Neuhaus.

Ute Neuhaus: Für Waelzholz ist thyssenkrupp Steel wichtiger Warmbandlieferant und langjähriger Entwicklungspartner.

Zu Beginn mal ein paar Zahlen: Weltweit werden zirka zwei Milliarden Tonnen Rohstahl pro Jahr erzeugt, davon rund 150 Millionen Tonnen in der EU. Deutschland ist mit knapp 40 Millionen Tonnen Rohstahl der größte Stahlerzeuger innerhalb der Europäischen Union. Und auch das ist mal ganz interessant: In Deutschland werden pro Kopf jährlich etwa 180 Kilogramm Stahl für den privaten Konsum benötigt. thyssenkrupp Steel Europe produziert allein etwa elf Millionen Tonnen Rohstahl pro Jahr. Frau Dr. Jaroni, Herr Dr. Buddenberg, warum ist der Bedarf an Stahl so gigantisch hoch?

Dr. Marie Jaroni: Stahl ist der am häufigsten verwendete industrielle Werkstoff und für die deutsche Industrie unverzichtbar. Für die gesamte Wertschöpfungskette. Wenn wir über Karosseriebleche für die Automobilindustrie nachdenken, über Baustähle, über ganz viele Anwendungen – wir brauchen überall Stahl. Das liegt an den Eigenschaften, die Stahl mit sich bringt: Stahl ist sehr weich, ist extrem verformbar, kann hohe Festigkeiten haben und hohe Stabilitäten. Das alles macht den Stahl so spannend und wichtig für unsere Industrie in Deutschland und wir forschen immer weiter daran, dass wir immer bessere Stähle für unsere Kunden entwickeln.

Dr. Heino Buddenberg: Ja, das kann ich nur bestätigen. Waelzholz als Kaltwalzwerk und Hersteller von Speziallösungen im Werkstoffbereich der Stähle ist auf Lieferanten wie thyssenkrupp Steel angewiesen, um qualitativ hochwertige Sonderstähle zu erwerben und für seine Kunden so zu konfektionieren, dass sie den expliziten, den individuellen Ansprüchen der Kunden genügen. Wir haben die Aufgabe, Bandstahllösungen für Einzelanwendungen zu entwickeln. Ohne das geeignete Warmband, ohne die geeigneten Analysen und Stahlrezepturen mit hohen Reinheitsgraden wäre dies nicht möglich. Die Qualität und die Filigranität der Prozesse, die bei dem Warmbandlieferant vorliegen, kann man nicht erkennen, wenn man hier in Duisburg am Hochofen vorbeifährt. Sie ist aber durchaus vorhanden.

Dr. Marie Jaroni: Wenn ich das ergänzen darf: Es gibt auch ganz viele Anwendungen, die wichtig für die Klimawende sind. Also, es geht nicht nur um grünen Stahl, den wir produzieren, sondern auch: Wo geht der Stahl dann eigentlich hin und wie hilft der dann wieder, die Klimakatastrophe aufzuhalten? Beispiele sind Windkrafträder, in denen Stahl verbaut wird, Antriebsmotoren von E-Fahrzeugen, aber auch Tiefseekabel, die die Windenergie erst aufs Festland bringen. Hier gibt’s ganz viele Beispiele, wo der Stahl gebraucht wird in der Klimadebatte. Das ist ein Riesenmarkt, der sich da auftut: Das sind 15 Millionen Elektrofahrzeuge, die bis 2030 in Deutschland fahren sollen, heute sind‘s nur eine halbe Million. Wir brauchen erneuerbare Energien in großen Maßen, denn 80 Prozent unseres Stroms sollen 2030 ja aus erneuerbaren Quellen entstehen. Also, der Bedarf an High-Tech-Stählen ist riesig und wird weiterwachsen.

Ute Neuhaus: Das heißt aber doch, Elektroautos, Windenergie, das ist ja alles notwendig für die, sagen wir mal, Transformation und für die Klimaneutralität, das heißt, es wird dann da noch mehr Stahl brauchen, und das würde aber auch bedeuten, noch mehr CO2-Emissionen. Wir hatten ja eingangs schon gesagt: Eine Tonne Rohstahl bedeuten zwei Tonnen CO2. Frau Dr. Jaroni, können Sie uns vielleicht nochmal erklären, warum entsteht eigentlich CO2 bei der aktuellen Stahlproduktion?

Dr. Marie Jaroni: Genau. Heute wird Stahl primär ja in einem Hochofenverfahren hergestellt. In diesem Hochofen wird Eisenerz – also das Ausgangsmaterial, FeO ist das, wenn man das chemisch ausdrückt – zusammen mit Kokskohle aufgeschichtet. Kokskohle ist im Grunde der C-Träger, also chemisch wieder das C. Und diese Kohle klaut dem FeO, dem Eisenerz, den Sauerstoff. Oben kommt dann also CO2 aus dem Hochofen raus, die Emissionen, die heute entstehen bei dem Prozess. In Zukunft möchten wir das Ganze nicht mehr im Hochofen machen. Weil, wir können nicht einfach Wasserstoff beispielweise im Hochofen einsetzen, sondern müssen ein neues Verfahren einsetzen, um das FeO, also das Eisenerz, zu reduzieren, dann aber mit Wasserstoff, H, und dann kommt oben H2O raus, das kennen die meisten. Das ist Wasserdampf und völlig unschädlich.

Ute Neuhaus: Jetzt ist ja grüner Wasserstoff noch ein bisschen in weiter Ferne. Aber wenn man so auf die nahe Zukunft guckt: Stahl ist doch auch recycelbar. Ist das denn nicht irgendwo eine gute Voraussetzung für eine Kreislaufwirtschaft? Könnte man da nicht eine Lösung finden?

Dr. Marie Jaroni: Stahl ist ein super recycelbarer Werkstoff, 100 Prozent des Stahls werden heute recycelt. Eigentlich gibt es keinen anderen Werkstoff, wo das besser funktioniert als beim Stahl. Aber unsere Kunden haben auch hohe Qualitätsansprüche und nur mit recyceltem Material können wir diese nicht befriedigen. Deshalb müssen wir auch über den Hochofenprozess frisches Erz einsetzen und sogenanntes Primärmetall erzeugen und das tun wir hier bei thyssenkrupp. Trotzdem versuchen wir, soweit es geht auch Schrott einzusetzen, beispielsweise in unseren Konvertern, in unseren Stahlwerken, sodass wir auch eine hohe Recycling-Quote von ungefähr 20 Prozent in unserem Werk haben.

Dr. Heino Buddenberg: Ich kann Frau Jaroni da nur zustimmen und darauf verweisen, zirka 30 Prozent der globalen Stahlproduktion werden heute schon aus Schrott im Elektrolichtbogenofen hergestellt, was den CO2-Output dieser Prozessroute im Vergleich zum Hochofenprozess auf ein Drittel reduziert. Der weltweit verfügbare Schrott, der ungefähr der Stahlerzeugung von vor 30, 40 Jahren entspricht, wird heute quantitativ für die Stahlproduktion verbraucht. Eine zusätzliche Absenkung der CO2-Emissionen durch Umstellung auf schrottbasierte Varianten, ist daher nur bei einer betriebswirtschaftlichen Betrachtung von Bedeutung, bei einer global-bilanziellen Betrachtung aber irrelevant und führt nicht weiter zu einer weiteren CO2-Absenkung in den Gesamtprozessen. Hochwertiger Schrott ist natürlich Mangelware, sodass eben der zitierte Aspekt von Frau Jaroni bezüglich der Qualitäten der Stähle eine Bedeutung hat, aber wird die Gesamt-CO2-Bilanz durch mehr Einsatz von Schrott nicht verändern.

Ute Neuhaus: Jetzt entfallen sechs Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes in Deutschland auf die Stahlindustrie. Und 2,5 Prozent allein emittiert thyssenkrupp Steel. Dass gehandelt werden muss ist also deutlich. Ab 2030 möchte thyssenkrupp jährlich drei Millionen Tonnen CO2-neutralen Stahl produzieren und bis 2045 klimaneutral werden. Aber muss da nicht schon jetzt was passieren, muss nicht heute schon was passieren?

Dr. Marie Jaroni: Heute passiert schon ganz viel bei thyssenkrupp, aber auch in der Stahlindustrie gesamt. Die letzten 30 Jahre haben wir unsere Prozesse so verbessert, dass wir mehr als 20 Prozent weniger CO2-Emissionen oder auch Emissionen haben als wir es noch vor 30 Jahren hatten. Und wir haben dabei Energieeffizienz verbessert, wir haben die Einsatzstoffe verbessert, wir haben Verfahren in Summe verbessert und haben natürlich auch viel investiert in diese neuen Verfahren. Aber irgendwann ist nun bei dem Prozess des Hochofens keine Optimierung mehr möglich und wir müssen an neue Verfahren gehen. Und das machen wir jetzt und wir starten damit, dass wir eine Direktreduktionsanlage hier in Duisburg aufbauen, da einfach eine Optimierung der heutigen Verfahren nicht mehr möglich ist.

Ute Neuhaus: Das heißt, Direktreduktion ist das Thema der Zukunft? Kann denn jetzt Waelzholz sagen: „Ich hätte aber gerne jetzt schon CO2-reduziertes Material“?

Dr. Marie Jaroni: Ja, sehr gerne sogar. Wir haben heute im Hochofen zwei Produkte entwickelt: Einmal bluemint pure und einmal bluemint recycelt, das sind CO2-reduzierte Stähle. Bei bluemint pure setzen wir HBI, Bio-Methan oder auch Wasserstoff heute schon im Hochofen ein, um damit den CO2-Footprint noch etwas zu verbessern, und bieten damit auch dann ein CO2-reduziertes Material an. Das Ganze ist zertifiziert, selbstverständlich, in dem Fall von DNV. Unser bluemint recycelt, bei dem wir Stahlschrott, speziellen Stahlschrott, einsetzen. Bei beiden Verfahren können wir fast 1,5 Tonnen CO2 pro Tonne Stahl oder Warmband sparen, das sind 70 Prozent. Also hier sind schon erhebliche Fortschritte möglich.

Ute Neuhaus: Ich möchte nochmal kurz einhaken: Können Sie nochmal den Begriff „HBI“ erklären, der vielleicht nicht jedem so auf Anhieb etwas sagt?

Dr. Marie Jaroni: Genau, das ist ein vorreduziertes Eisen, ein Eisenschwamm, das dann noch eingeschmolzen wird wieder im Hochofen und deswegen muss weniger Kohle eingesetzt werden, weniger C klaut den Sauerstoff wie vorher erklärt und damit haben wir weniger CO2.

Ute Neuhaus: Und wie viel kann man davon kaufen? Wie rechnen Sie das, gerade wenn es so bilanziell angewandt wird?

Dr. Marie Jaroni: Genau, wir können nur einen kleinen Teil HBI einsetzen, wie gesagt, der Hochofen ist auch ausoptimiert was Energieeffizienz und Co. angeht. Wir können noch etwas HBI oder auch Bio-Methan und andere Dinge einsetzen. Allerdings höchstens zehn Prozent. Viel mehr geht nicht mehr, weil wir die Schichtung im Hochofen brauchen, von der Kokskohle und dem Eisenerz, um das Verfahren laufen zu lassen.

Ute Neuhaus: Jetzt ist das ja interessant: Eine neue Marke, eine neue Markenwelt –  bluemint. Und mit bluemin. gibt es keine erhöhte Festigkeit, oder keine super Toleranzen oder ein Profil. Sondern es gibt eine Eigenschaft, die einen reduzierten CO2-Gehalt darstellt. Das ist doch irgendwie ein absolutes Novum für Stahlhersteller, so etwas zu verkaufen. Wie macht man das, den Kunden zu sagen: „Kauf bitte etwas, was einer gesellschaftlichen Aufgabe dient?“

Dr. Marie Jaroni: Uns ist es wichtig, unseren Kunden so schnell wie möglich die CO2-reduzierten Produkte anzubieten, die auf realen und überprüfbaren Einsparungen an Kohlendioxid beruhen. Und unsere Kunden fragen auch danach. Weil wiederum die Kunden unserer Kunden danach fragen. Weil die Gesellschaft sich hier ändert und mittlerweile vielen Menschen klar ist, dass CO2-reduzierte Produkte auch gute Produkte sind. Dass sie ein neues Kriterium erfüllen, das es vielleicht vor einigen Jahren noch nicht gab, und die Nachfrage, sehen wir, ist da.

Ute Neuhaus: Herr Dr. Buddenberg, dann ist diese Produkteigenschaft auch für Kunden wie Waelzholz relevant?

Dr. Heino Buddenberg: Diese Eigenschaft ist enorm wichtig und wir sind darauf angewiesen, dass die Partner innovative Verfahren zur CO2-Minderung einsetzen. Wir bei Waelzholz haben selber einen ambitionierten und umfassenden Fahrplan für die CO2-Reduzierung und streben die langfristige Klimaneutralität an. 90 Prozent der Emissionen aus unserem Produkt stammen jedoch aus dem Rohmaterial, das heißt in diesem Beispiel aus dem Hause thyssen. Und wir können unsere Emissionen beeinflussen. Aber unser Endprodukt können wir nur entsprechend CO2-freistellen, wenn auch die Rohmaterialquelle dieses gewährleistet. Am Anfang der Wertschöpfungskette wird bei Stahl eben der entscheidende Emissionsfaktor bestimmt.

Ute Neuhaus: Dann trägt thyssenkrupp Steel so am Anfang eine große Verantwortung auf dem Weg zum grünen Stahl, oder?

Dr. Marie Jaroni: Wie Sie eingangs oder vorher sagten, trägt thyssenkrupp mit 2,5 Prozent der deutschen CO2-Emissionen zu diesen Emissionen bei. Und da sind wir dran, der Verantwortung sind wir uns bewusst.

Ute Neuhaus: Wie gestaltet denn dann Waelzholz als nächste Wertschöpfungsstufe, Herr Dr. Buddenberg, die Klimawende mit?

Dr. Heino Buddenberg: Man kann diesen Prozess der Herbeiführung einer Klimaneutralität nicht isoliert aus einem Unternehmen alleine heraus betrachten. Wir befinden uns in Wertschöpfungsnetzwerken, wo die Klimaneutralität der Endprodukte eben schrittweise in jeder Fertigungsebene betrachtet und herbeigeführt werden muss. Es sind auf jeder Ebene große Investitionsentscheidungen zu treffen, um die entsprechenden Prozesse CO2-frei zu stellen. Und auch die zuliefernde Energiewirtschaft muss dort gigantische Beiträge leisten und dieses muss natürlich in Politik und Gesellschaft bekannt sein. Denn gemeinschaftlich haben wir auch die Aufgabe, diese Produkteigenschaft – ich nenne das immer „marktfähig“ – zu stellen. Denn am Ende des Tages sind Kosten, die dadurch erzeugt werden, nicht von dem einzelnen Unternehmen tragbar, sondern müssen über das Wertschöpfungsnetzwerk vergesellschaftet werden und am Ende beim Endkunden ankommen und leider auch dort bezahlt werden.

Ute Neuhaus: Sie haben vorhin die Politik erwähnt und die Energiewirtschaft. Das heißt, es gibt Rahmenbedingungen und die Rahmenbedingungen müssen passen. Aber im Moment passen sie ja nicht. Wie kann man das Ganze denn planbar machen, wenn heute noch gar nicht klar ist, wie denn die Rahmenbedingungen ausschauen werden?

Dr. Marie Jaroni: Ich glaube, alles kann man nicht planen. Das ist eine Transformationsphase. Das ist uns als Unternehmen klar und ich glaube auch der ganzen transformierenden Industrie klar. Wir können nicht alles planen. Wir können versuchen, mit der Politik zusammen, dass die Rahmenbedingungen stabil stehen und dass wir innerhalb wenigstens dieses Rahmens etwas planen können. Und am Ende dieser ganzen Transformation steht ja nicht die Politik, sondern steht ein Businessmodell, was für uns funktioniert. Was für unsere Kunden funktioniert und für unsere Lieferanten. Und dahin müssen wir zusammenarbeiten und in der ganzen Transformationsphase bis dieses Businessmodell funktioniert, muss der Markt sich entwickeln, muss die Politik auch unterstützen. Aber wir haben immer das Ziel, dass wir dann auch zu einem alleinstehend, ohne-Politik-ohne-Subventionen-Markt wieder kommen, der dann aber grün ist und klimaneutral.

Ute Neuhaus: Das heißt aber, es muss sich ein Markt bilden für das Thema CO2?

Dr. Heino Buddenberg: So ist das! Am Ende des Tages muss CO2 für den Endverbraucher einen Wert darstellen. Dieser Wert muss bezahlbar bleiben, muss aber auch bezahlt werden. Und dieser Mehrwert muss eben die gigantischen Investitionen in diesem Transformationsprozess decken können. Man geht davon aus, dass allein für die Bundesrepublik zirka drei Billionen Euro investiert werden müssen, um die Klimawende in Summe zu begleiten. Und natürlich werden die Grundstoffindustrien und auch der Stahl einen entsprechenden Anteil daran in Anspruch nehmen.

Ute Neuhaus: Das heißt, ein Kostenbewusstsein muss geschaffen werden für diese Dinge, und wir haben auch gehört, dass es aber auch heute schon Möglichkeiten gibt, zumindest CO2-reduziert anzubieten. Wenn wir jetzt aber mal den Blick Richtung 2045 werfen, was ist denn nötig, damit der Stahl am Ende wirklich grün wird? Was muss passieren?

Dr. Marie Jaroni: Wir müssen einmal eine kleine Revolution hier anzetteln. In der Stahlindustrie und auch wir hier bei thyssenkrupp. Und zwar müssen wir unsere kohlebasierten Hochöfen, die ja seit vielen, vielen Jahren und Jahrzehnten, Jahrhunderten stehen, ersetzen durch Direktreduktionsanlagen. Diese Direktreduktionsanlagen funktionieren nicht mehr mit Kohle, sondern mit Wasserstoff. Also brauchen wir sehr, sehr große Mengen an grünem Wasserstoff. Und wir brauchen große Mengen an grünem Strom hier in Duisburg. Die müssen erstmal verfügbar sein und natürlich am Ende auch zu einem wettbewerbsfähigen Preis verfügbar sein. Das Ganze bedeutet auch, dass wir kooperativ mit unseren Partnern im Moment zusammenarbeiten müssen. Das geht nicht in dem normalen Supplier-, Anbieter- und Lieferanten-Verhältnis. Sondern wir müssen hier ein bisschen anders miteinander umgehen und denken, und das tun wir gerade auch. Mit unseren Kunden, aber auch mit unseren Lieferanten. Damit wir es schaffen, dass die neuen Einsatzstoffe zu uns kommen und wir dann hier grünen Stahl produzieren können.

Ute Neuhaus: Jetzt gibt es ja beim Thema Direktreduktion Erfahrungen, ich glaube, es gibt sie beim Elektrolichtbogenofen. Wie sieht das denn aus bei thyssenkrupp? Sie haben ja eigentlich eine ganz andere Technologie. Können Sie ein bisschen erklären, was die Unterschiede sind? Was ist Ihre Idee?

Dr. Marie Jaroni: Wir haben ja eine Direktreduktionsanlage. Erstmal das ist die Grundlage dessen, dass wir weniger CO2 ausstoßen. Aus der Direktreduktionsanlage kommt ein Eisenschwamm raus, ein vollreduziertes Eisen, dieses geht dann bei uns in den Einschmelzer. Der Einschmelzer hat auch eine reduzierende Atmosphäre und in dem Einschmelzer wird dann der Eisenschwamm aufgeschmolzen nochmal, etwas eingestellt von der Qualität, und aus diesem Einschmelzer kommt das Roheisen raus. Das Roheisen entspricht eigentlich genau dem, wie es auch vorher aus dem Hochofen rauskam. Also nennen wir das auch mal Roheisen 2.0. Und dieses Roheisen geht dann genau den gleichen Weg wie vorher auch das Hochofenroheisen. Und zwar geht‘s als nächstes ins Stahlwerk und in die Weiterverarbeitungsschritte. Das hat große Vorteile, weil wir genau die gleichen Qualitäten anbieten können, wie wir es heute können. Weil wir nur da eingreifen in unserem ganzen Prozess, wo auch wirklich die CO2-Emissionen entstehen. 90 Prozent der CO2-Emissionen heute entstehen im Hochofen und nur genau den ersetzen wir durch die Direktreduktionsanlage plus Einschmelzer. Der ganze Rest im Werk bleibt gleich.

Ute Neuhaus: Das heißt, die bewährten Prozesse, die qualitativ auch kontrollierten Prozesse, bleiben wie sie sind, lediglich dort punktuell werden in einer Mikrooperation, die keine Mikrooperation ist, die CO2-Emissionen dann vermieden?

Dr. Marie Jaroni: Genau.

Ute Neuhaus: Ja, ein wesentlicher Baustein, das haben Sie vorhin schon gesagt, sind einmal Kooperationen, ist aber dann der grüne Wasserstoff. Und der steht ja noch nicht zur Verfügung. Sie hatten erwähnt, dass die erste Direktreduktionsanlage geplant ist und 2025 stehen soll. Und da gibt‘s ja noch keinen grünen Wasserstoff. Wie wollen Sie das überbrücken?

Dr. Marie Jaroni: Also wir werden Mitte der Zwanziger die erste Direktreduktionsanlage hier in Duisburg stehen haben. Wir werden die erstmal auch mit Erdgas betreiben können. Das ist eine Frage von Verfügbarkeit, wie schnell wir dann auf grünen Wasserstoff umsteigen können. Wir sind aber mit vielen Partnern, unseren Wasserstoff-Partnern in Gesprächen und wir sind natürlich auch abhängig teilweise von Pipelines. Also sind wir auch mit Partnern der Netzbetreiber in Gesprächen. Nichtsdestotrotz haben wir auch Partner, die sehr nah um unser Werk herum sind, was eine Wasserstoffbelieferung früher möglich machen würde, da wir dann keine großen Pipeline-Anschlüsse nach Rotterdam oder an sonstige Häfen bräuchten. Wir haben also vielfältige Möglichkeiten, hier Wasserstoff zu beziehen, und hoffen dann auch, sehr schnell von Erdgas auf reinen Wasserstoffbetrieb umstellen zu können.

Dr. Heino Buddenberg: Wir dürfen nur nicht vergessen, dass Erdgas, was heute verwendet wird, im Wesentlichen aus Methan besteht. Und Methan hat ein Atom Kohlenstoff und vier Atome Wasserstoff. Das heißt, wenn Erdgas eingesetzt wird, ist da schon ein gehöriger Schritt in die Wasserstoffwirtschaft, was immer schnell vergessen wird. Und Wasserstoff wird ein Schlüsselelement werden in der Transformation der gesamten Energiewirtschaft. Wir müssen antizipieren, dass Strom der zukünftige Primärenergieträger ist. Weil, regenerative Energien sind Strom und es ist völlig egal, ob der aus Wind oder Solarquellen gespeist wird. Und auch bei der Umstellung der Stromverbräuche spielt dieser Wasserstoff als „Puffermedium“ – denn es weht nicht immer Wind, es scheint nicht immer die Sonne – eine extrem große Rolle. Und diese Umstellung des gesamten Energiesystems wird uns bis 2045 beschäftigen.

Ute Neuhaus: Gas als Brückentechnologie. Das erscheint aus heutiger Sicht schwierig, vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges und der Knappheit in Europa. Welchen Einfluss hat das auf die Transformation, wie sehen Sie das bei thyssenkrupp Steel?

Dr. Marie Jaroni: Natürlich hat das auch einen Einfluss auf uns. Erstmal kurzfristig im operativen Bereich. Und wenn wir auf die Transformation gucken, dann versuchen wir mit unseren Wasserstoff-Partnern eigentlich dafür zu sorgen: Wie können wir schneller Wasserstoff hier nach Duisburg bekommen und wie können wir den schneller einsetzen, damit die Zeit und die Menge an Erdgas, das wir benötigen, möglichst klein sein wird? Da arbeiten wir dran. Aber wir arbeiten auch immer mit dem Credo dran: Wir hören jetzt nicht auf zu transformieren, weil es gerade eine Gaskrise gibt, sondern wir machen weiter. Der Klimawandel wartet ja nicht darauf, sondern wir müssen weiter machen, und das tun wir.

Ute Neuhaus: Jetzt ist es so, bis 2030, so habe ich gelesen, wird die Stahlindustrie bis zu 660.000 Tonnen grünen Wasserstoff benötigen. So, und dann braucht die chemische Industrie noch etwas, dann brauchen die privaten Haushalte etwas… Wie ist denn diese notwendige Transformation überhaupt zu schaffen? Das sind ja gigantische Mengen, die benötigt werden.

Dr. Heino Buddenberg: Die Bundesregierung plant, in Deutschland bis 2030 etwas über 400.000 Tonnen Wasserstoff zu produzieren. Wir müssen uns aber von dem Gedanken trennen, dass die zukünftige Wasserstoffwirtschaft eine nationale Veranstaltung ist. Wir sind wie heute in einem internationalen Energiemarkt. Und Frau Jaroni erwähnte gerade schon die Anbindung an den Port of Rotterdam, der sich als ein wesentliches Drehkreuz für importierte Energierohstoffe etabliert hat, und auch das Drehkreuz für importierte Wasserstoffquellen sein wird. Ob das dann Wassersstoff über Pipeline-Netze aus Nordafrika sein wird, oder ob das Wasserstoffquellen sind, die über das Vehikel Ammoniak aus Australien kommen, das wird die Zukunft zeigen. Das muss entwickelt werden. Das ist innerhalb des Energienetzwerkes notwendig, um letztendlich die zukünftigen Weichenstellungen vorzunehmen.

Ute Neuhaus: Sie haben’s erwähnt, auch hier wieder „Netzwerke“. Frau Dr. Jaroni, Sie sprachen von Kooperationen, die dann sicher über die nationalen Kooperationen weit hinausgehen werden, wenn man sich dieses Bild mal weiterspinnt und überlegt, wie denn ab 2045 das Ganze aussehen kann.

Wir haben also erfahren: Der Stahl der Zukunft wird mit grünem Wasserstoff produziert. Und dazu braucht es Wasserstofftechnologien, die wiederum auch emissionsfrei sind, und innovative Produktionsverfahren, wie das Direktreduktionsverfahren, und das sind unabdingbare Voraussetzungen, damit die Transformation der Stahlindustrie überhaupt erfolgreich sein kann.

Ich bedanke mich sehr herzlich bei meinen beiden Gesprächspartnern, Frau Dr. Jaroni, Herr Dr. Buddenberg, vielen Dank für Ihre Zeit und für die sehr interessanten Einblicke in die Zukunft des dann grünen Stahls.

Dr. Marie Jaroni: Vielen Dank Frau Neuhaus, vielen Dank Herr Buddenberg. Das war ein super interessantes Gespräch und ich freue mich vielleicht auf ein anderes Gespräch mit Ihnen.

Dr. Heino Buddenberg: Ja, auch von meiner Seite herzlichen Dank an Sie beide. Hat Spaß gemacht.

Ute Neuhaus: Und Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, sage ich Danke für Ihr Interesse und schön, dass Sie dabei waren.

Heute haben wir uns mit der Transformation der Stahlherstellung beschäftigt. In unserer nächsten Folge der Podcast-Reihe „Steel to Zero“ schauen wir uns an, wie wichtig grüner Stahl für die Klimaneutralität am anderen Ende der Wertschöpfungskette ist. Im Gespräch mit einem Unternehmen, das seinen Fokus konsequent auf Nachhaltigkeit legt und das bereits seit mehr als 100 Jahren.

[Titelmelodie]

Ute Neuhaus: Bleiben Sie gut informiert mit „Steel to Zero“, dem Nachhaltigkeitspodcast von Waelzholz. Jetzt mit einem Klick anhören unter waelzholz.com/steeltozero. Und denken Sie dran: Waelzholz mit A E.

[Titelmelodie]

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Grafische Illustrationen zur Nachhaltigkeit

Folge 1 – Die Herausforderung: die komplexe Wertschöpfungskette in der Stahlindustrie

13.09.2022

Um die CO2-Emissionen von Stahl signifikant zu reduzieren, ist es notwendig, alle Ebenen der Wertschöpfungskette zu betrachten. Wie Waelzholz als Technologieführer der Kaltwalzindustrie und integraler Bestandteil dieser Wertschöpfungskette den Weg zur Klimaneutralität beschreitet und welche Rolle dabei die von uns entwickelte Systematik zur exakten Erfassung und Zuordnung des CO2-Ausstoßes jeder Werkstoffausführung spielt, erfahren Sie in unserer ersten Podcast-Folge.

Gäste:
Dr. Heino Buddenberg (Vorsitzender der Geschäftsführung der C.D. Wälzholz GmbH & Co. KG)
Dr. Matthias Gierse (Geschäftsführer Vertrieb und Einkauf der C.D. Wälzholz GmbH & Co. KG)

Moderation:
Ute Neuhaus

Podcast Folge 1 in Schriftform


DIE HERAUSFORDERUNG: DIE KOMPLEXE WERTSCHÖPFUNGSKETTE IN DER STAHLINDUSTRIE


[Titelmelodie]

Moderation Ute Neuhaus: Steel to Zero – Wie der Stahl grün wird. Der Nachhaltigkeitspodcast von Waelzholz.

Stahl soll bis 2050 grün werden, um die Emissionsziele der EU einzuhalten. Stahl ist in unserem Leben allgegenwärtig und auch wichtig für die Energiewende. Er steckt in dem umweltfreundlichen Elektroauto, mit dem wir zur Arbeit fahren, und er steckt ebenso in der sparsamen Waschmaschine, mit der wir unsere Socken waschen. Der Strom für beides stammt dann – hoffentlich – aus Windrädern, für deren Bau Stahl benötigt wird. Stahl macht also grün, aber Stahl selbst ist nicht grün, sondern ein großer CO2-Verursacher. Ja, aber wie kann Stahl jetzt grün werden? Welche Aufgaben stehen an, um die Emissionsziele der EU zu erreichen? Um diese Fragen geht es in unserem Nachhaltigkeitspodcast „Steel to Zero“. Ich bin Ute Neuhaus und habe lange Jahre selbst in der stahlverarbeitenden Industrie gearbeitet.

[Titelmelodie]

Moderation Ute Neuhaus: Zum Start der Reihe spreche ich mit zwei Experten, die den ganzen Weg des Stahls – vom Hochofen bis zum Endverbraucher – genau im Blick haben. Im Studio sind Dr. Heino Buddenberg und Dr. Matthias Gierse, beide Geschäftsführer der C.D. Wälzholz GmbH & Co. KG in Hagen. Aber bevor wir zum grünen Stahl kommen – Herr Dr. Buddenberg, können Sie kurz erklären, was genau ein Kaltwalzwerk eigentlich ist?

Dr. Heino Buddenberg: Ja gern. Beim Kaltwalzen wird Warmband, das wir von Stahlherstellern kaufen, weiterverarbeitet. Waelzholz walzt, wärmebehandelt und konfektioniert, um nur einige Kernprozesse zu nennen, und wir geben unseren kaltgewalzten Werkstoffen damit unterschiedlichste Eigenschaften mit, genau angepasst an die Anforderungen der Endprodukte.

Moderation Ute Neuhaus: Ist dann Waelzholz so etwas wie ein Mittler zwischen Stahlhersteller und den Kunden?

Dr. Heino Buddenberg: Ja, so kann man das beschreiben. Wir übersetzen die Eigenschaften, die ein Endprodukt haben soll, in Anforderungen an den benötigten Stahl selbst. Daraus werden Spezifikationen für das Stahlwerk und wir verarbeiten dann das Warmband zu maßgeschneiderten Kundenwerkstoffen mit spezifizierten Eigenschaften.

Moderation Ute Neuhaus: Und das ist dann ein Werkstoff, der das Produkt des Kunden auch grün – oder zumindest grüner – machen kann?

Herr Dr. Gierse, in meiner Anmoderation habe ich – so ein bisschen plakativ – das E-Auto und die Waschmaschine als Beispiele für nachhaltige Produkte mit Stahl genannt. Ist denn die Stahlbranche für die Energiewende nützlich? Oder ist sie lediglich der große CO2-Emittent, als der sie im Moment in der Öffentlichkeit so im Fokus steht?

Dr. Matthias Gierse: Ich glaube, das Bild muss man differenziert zeichnen. Die CO2-Emissionen, die bei der Stahlerzeugung anfallen, sind nicht unerheblich. Trotzdem ist für die Energiewende Stahl absolut unverzichtbar, das ist eben der industrielle Werkstoff in der Welt und wird in Zukunft, nach meiner festen Überzeugung, noch wichtiger werden.
Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass man ohne den Werkstoff Stahl die Energiewende gar nicht stemmen kann.

Moderation Ute Neuhaus: Das heißt, Stahl ist beim Klimaschutz auf der einen Seite das Problem, aber auf der anderen Seite auch der Problemlöser? Wie muss ich mir das denn vorstellen?

Dr. Matthias Gierse: Das kommt auf die Perspektive an. Bei der Herstellung von Stahl fällt, völlig unzweifelhaft, eine große Menge an CO2 an. Und diese CO2-Emissionen zu reduzieren, ist definitiv eine große Aufgabe. Aber schon heute trägt dieser faszinierende Werkstoff mit seinen wirklich herausragenden Eigenschaften dazu bei, dass wir CO2 einsparen können, technologisch und auf vielen wichtigen Zukunftsfeldern, die für die Energiewende ganz entscheidend sind. Aber eben auch als Werkstoff für Produkte, die durch Hightech-Stahl besser, leichter, langlebiger, sparsamer werden und damit gut sind für die gesamte CO2-Bilanz.

Moderation Ute Neuhaus: Also da müssen Sie uns mal ein paar Beispiele nennen.

Dr. Matthias Gierse: Beispielsweise werden wir unsere Verkehrssysteme auf elektrische Antriebe umstellen, das ist hier ja schon voll im Gange. Und diese batterie-elektrischen und hybriden Systeme benötigen dünne Elektrobänder aus Stahl. Diese dünnen Elektrobänder werden in effizienten Elektromotoren verbaut, um den elektrischen Antrieb von Fahrzeugen zu ermöglichen.
Das ist ein Beispiel, ein weiteres Beispiel ist die Erzeugung regenerativer Energie über Wind- und Wasserkraftwerke. In solchen Wind- und Wasserkraftwerken sind Generatoren erforderlich, um Strom zu erzeugen. Und diese Generatoren bestehen ebenfalls aus hochleistungsfähigen Elektrobändern.

Last but not least kann man sicherlich noch das Thema Brennstoffzelle anführen. In der Brennstoffzelle wird aus Wasserstoff elektrische Energie gewonnen. Hierfür benötigt man ultradünn gewalzte, rostfreie Bänder, die als Bipolarplatten in diesen Brennstoffzellen eingesetzt werden.

Moderation Ute Neuhaus: Ich höre da eine Menge Kompetenz heraus und auch Enthusiasmus ist sicherlich nötig, um all das umzusetzen. Aber nochmal zurück: Die Stahlindustrie ist CO2-Verursacher, trägt aber gleichzeitig wesentlich zur Energiewende und zur Klimawende bei. Ist das nicht paradox? Wie lässt sich denn der Widerspruch auflösen? Dr. Buddenberg?

Dr. Heino Buddenberg: Es zeigt sich ganz klar, dass wir auf zwei Kanälen, in zwei Strängen arbeiten müssen, um unsere Strategie zu verfolgen. Wir werden weiterhin sehr intensiv an der Werkstoffentwicklung arbeiten, um die Produkte, die für die Energiewende nötig und nützlich sind, herzustellen, und auf der anderen Seite muss die gesamte Stahlbranche sehr fokussiert ihren Weg in der Prozessentwicklung gehen, um eben in den Prozessen klimaneutral zu werden. Das Pariser Klimaabkommen ist für uns alle bindend, mit dem Ziel „null Emissionen“ bis 2050 und dem fühlen wir uns verpflichtet.

Moderation Ute Neuhaus: Es ist ein großes Ziel – kann das auch erreicht werden? Immerhin steht die Stahlbranche für dreißig Prozent der Industrieemissionen in Deutschland.

Dr. Heino Buddenberg: Die Stahlindustrie steht zweifelsfrei vor einer immens großen Herausforderung.  Und sie stellt sich dieser. Bis 2045 haben sich mittlerweile alle europäischen Stahlerzeuger committed, klimaneutral zu sein. Die Technologien dazu gibt es, die Investitionen dazu werden allerdings sehr groß werden.

Moderation Ute Neuhaus: Und die Kaltwalzer? Was tut Waelzholz in diesem Zusammenhang?

Dr. Heino Buddenberg: Wir müssen unsere CO2-Emissionen sukzessive reduzieren und werden das auch tun – und zwar auf allen Ebenen unserer Wertschöpfungskette. Wir werden regenerativ erzeugten Strom einkaufen und entweder dekarbonisierte Brennstoffe verwenden oder die Prozesswärme ebenfalls elektrisch erzeugen.

Moderation Ute Neuhaus: Da möchte ich nochmal einhaken: Warum ist die Betrachtung der Wertschöpfungskette so wichtig?

Dr. Matthias Gierse: Ja die Produkte, die bei uns ankommen und von uns weiterverarbeitet werden, die haben ja bereits eine Geschichte und diese Geschichte drückt sich eben auch in einem Carbon Footprint aus. Also die Stahlprodukte, die wir einsetzen, werden aus Erzen, aus Kohle, aus Koks, unter Gaseinsatz, unter Stromeinsatz erzeugt und der Einsatz dieser Energieträger und dieser Rohstoffe verursacht CO2-Emissionen. Gleiches gilt für unsere Prozesse; auch in unseren Prozessen werden CO2-Emissionen verursacht, im Wesentlichen durch den Einsatz von Strom und Gas, die dem Produkt am Ende dann auch anhaften, und insoweit muss man die gesamte Lieferkette anschauen, um einen Product Carbon Footprint zu haben, der letztlich im Endprodukt, das wir an unsere Kunden ausliefern, dann auch transparent gemacht werden muss.

Moderation Ute Neuhaus: Das hört sich jetzt sehr kompliziert an. Wie sortieren Sie denn das, was kommt wo her und was ist hier was?

Dr. Heino Buddenberg: Ja, wenn ich das ergänzen darf, bei der Berechnung von CO2-Emissionen werden drei sogenannte Scopes, also drei unterschiedliche Geltungsbereiche, herangezogen: Emissionen aus dem eigenen Primärenergieeinsatz so wie Erdgas oder Heizöl bezeichnet man als Scope Eins. Als zweites sind dann die Emissionen aus dem Einsatz umgewandelter Primärenergien, im Wesentlichen Strom, das sogenannte Scope Zwei. Und dann hat man noch das Scope Drei, das sind die Emissionen aus den zugekauften Produkten in einem Unternehmen. Bei Waelzholz sind das im Wesentlichen Warmband, Schutzgase und andere Dienstleistungen.

Moderation Ute Neuhaus: Der Kunde bestellt also fünf Tonnen Bandstahl und dann können Sie sagen, diese fünf Tonnen Bandstahl in Güte XY, in der Abmessung Z, haben diesen und jenen Carbon Footprint?

Dr. Heino Buddenberg: Ja genau! Das ist auch notwendig, weil unsere Kunden wiederum diese Information als ihren Scope Drei implementieren müssen. Und in der Wertschöpfungskette addiert sich somit ein CO2-Footprint bis zum Konsumenten-Endprodukt auf.

Moderation Ute Neuhaus: Da hab‘ ich jetzt einiges gelernt, über die Ermittlung des Footprints und auch, dass das überhaupt gar nicht trivial ist.

Dr. Heino Buddenberg: Ja, die Schwierigkeit liegt darin, diese drei Scopes stringent zu dokumentieren und zusammenzuführen in einer komplexen Fabrikstruktur. Dieses genau und sauber nachzuvollziehen haben wir uns zur Aufgabe gemacht, denn nur so können wir die CO2-Billanz unseres Produktes Stahls, von der Erzeugung bis zum ausgelieferten Coil, für unseren Kunden zur Weiterverwendung als Scope Drei transparent machen.

Moderation Ute Neuhaus: Also, nicht ganz so einfach. Ich habe jetzt, glaube ich, schon einiges über die Ermittlung des Footprints gelernt und dass es eben nicht trivial ist, aber wie reduziert nun Waelzholz seinen CO2-Fußabdruck, ganz konkret in der eigenen Produktion?

Dr. Matthias Gierse: Wir haben dazu einen Fahrplan aufgestellt, einen Fahrplan zur CO2-Emissionsreduzierung. Dieser Fahrplan wird neudeutsch heute gerne als Roadmap bezeichnet und in diesem Fahrplan ist eben auf lange Sicht dann Klimaneutralität auch für das Unternehmen Waelzholz und die Eigenfertigungen vorgesehen.

Moderation Ute Neuhaus: Und was sind die Bausteine Ihres Fahrplans? Wie genau richten Sie Waelzholz auf Nachhaltigkeit aus?

Dr. Matthias Gierse: Für die eigene Fertigung müssen wir eben den Scope Eins und den Scope Zwei, wie gerade von Heino Buddenberg geschildert, ins Auge fassen. Beim Scope Zwei, das ist im Wesentlichen unser Stromverbrauch, decken wir bereits heute fünfzehn Prozent des jährlichen Bedarfs mit regenerativ erzeugtem Strom ein und werden Ende des Jahres 2022 bereits vierzig Prozent unseres Strombedarfs aus regenerativen Quellen decken. Dieser Anteil wird in den nächsten Jahren weiter gesteigert und bis spätestens 2030 zur Klimaneutralität des Stromeinsatzes geführt. Beim Gaseinsatz ist das ein bisschen komplizierter: Wir könnten statt Gas Wasserstoff einsetzen, die dazu notwendige Brennertechnologie wird im Hause bereits erprobt und die Brenner könnten problemlos umgestellt werden auf den Wasserstoffeinsatz, aktuell steht aber Wasserstoff in den erforderlichen Größenordnungen, in der erforderlichen Menge nicht zur Verfügung. Insoweit wird in den nächsten Jahren weiterhin Gas eingesetzt werden müssen.

Dr. Heino Buddenberg: Da bleibt vielleicht noch zu ergänzen, dass wir gerade beim Strom die Nachhaltigkeit nicht durch Kompensationsmaßnahmen wie Baumpflanzungen in Südamerika erreichen, sondern ausschließlich durch qualifizierte Herkunftsnachweise aus regenerativen Erzeugungen. Der Nachhaltigkeitsanspruch spiegelt sich natürlich auch in vielen kleinen Schritten und einzelnen Innovationen wider. Photovoltaik auf Hallendächern ist da sicherlich ein sehr plakatives Beispiel. LED-Beleuchtung in Hallen, die deutlich geringere Stromverbräuche haben als alte Leuchtkörper. Das Ziel ist es eben, dass man durch viele Maßnahmen – große und kleine – das Thema Nachhaltigkeit fest in unserer Unternehmenskultur verankert.

Dr. Matthias Gierse: Ganz wesentlich ist: Neunzig Prozent unseres Carbon-Footprint entfallen auf den Einsatz von Rohmaterial. Nur zehn Prozent können wir tatsächlich durch eigenes Handeln beeinflussen, und insoweit ist es ganz wesentlich, dass die Stahlproduktion Schritt für Schritt klimaneutral wird, nur so können wir unseren Footprint am Ende des Tages auch neutral ausgestalten. Anders ist das unmöglich.

Moderation Ute Neuhaus: Also ich verstehe: Das eine oder andere, was Sie in der eigenen Produktion machen können, ist auch schon angestoßen, da sind Sie schon dabei. Aber es gibt eben auch Voraussetzungen, die außerhalb des Einflusses von Waelzholz oder der Kaltwalzindustrie liegen, die erfüllt sein müssen, damit diese Strategie überhaupt aufgehen kann. Was sind das denn für Voraussetzungen?

Dr. Matthias Gierse: Ja, hier muss zunächst mal über ganz massive Investitionen in die Energieinfrastruktur gesprochen werden. Wir brauchen eben gigantische Mengen an regenerativ erzeugtem Strom, der letztlich dann auch dafür benutzt wird, aus diesem regenerativ erzeugten Strom dann regenerativen Wasserstoff zu erzeugen. Und Wasserstoff ist eben der Energieträger, der als Schlüssel für eine grüne Stahlproduktion gilt.

Moderation Ute Neuhaus: Jetzt gibt es ja eine nationale Wasserstoff-Strategie. Und die ist auch mit mehreren Milliarden Euro Förderung verbunden. Reicht das denn aus?

Dr. Matthias Gierse: Für eine grüne Stahlproduktion müssen Kohle und Koks durch grünen Wasserstoff ersetzt werden. Und dazu sind technische Umstellungen notwendig, die ganz erhebliche, ganz massive Investitionen auch in der Stahlindustrie nach sich ziehen. Zunehmend haben wir das Problem, dass eben grüner Wasserstoff zurzeit in den erforderlichen industriellen Größenordnungen überhaupt nicht zur Verfügung steht und die Anlageninfrastruktur zur Erzeugung dieses Wasserstoffs noch gar nicht gebaut ist. Ganz zu schweigen von den erforderlichen regenerativen Strommengen, die eben auch nicht verfügbar sind. Also aktuell muss man sagen, dass es grünen Wasserstoff zu wirtschaftlich vertretbaren Konditionen nicht zu kaufen gibt.

Moderation Ute Neuhaus: Und wenn es ihn zu kaufen gäbe? Dann würde er wie anlanden? Dann würden Lkw kommen und bei Waelzholz Wasserstoff vorbeibringen und alles wäre gut?

Dr. Matthias Gierse: Na, das würde dann sicherlich auch nicht funktionieren. Wir werden aktuell in unserer Gasversorgung natürlich über Pipeline-Systeme mit den benötigten Gasmengen versorgt. Jetz muss man wissen, dass der Gasbedarf von Waelzholz alleine an deutschen Standorten bei ungefähr 3.600 Megawattstunden pro Tag liegt. Wenn wir den Bedarf mit Tanklastwagen decken wollten, dann müssten täglich rund 200 Wasserstoff-Lkw bei Waelzholz an den Standorten anlanden und entladen werden. Das bedeutet, umgerechnet auf einen vierundzwanzig-Stunden-Tag, alle zwanzig Minuten ein Lkw. Das ist völlig ausgeschlossen, das ist logistisch überhaupt nicht zu bewältigen, geschweige denn, dass man Lkw-Flotten in der Größenordnung überhaupt organisieren könnte. Deshalb brauchen wir von der Politik eine ganz klare Perspektive. Nicht nur die Erzeugung von Wasserstoff, sondern auch der Transport von Wasserstoff in entsprechenden Pipeline-Systemen mit Anschluss der Industriebetriebe ist zwingend notwendig. Ohne Pipeline geht definitiv nichts.

Dr. Heino Buddenberg: Wir sind in Hagen in Westfalen, ich sag jetzt mal, ein wenig abseits von den großen Chemiestandorten und sind infrastrukturell durch Pipelines, durch die Wasserstoff fließen könnte, nicht erschlossen. Das ist definitiv eine Aufgabe, der sich die Politik stellen muss, um hier die infrastrukturelle Erschließung von wesentlichen Industrieregionen – und Hagen ist eine wesentliche Industrieregion – sicherzustellen.

Aber mit dem Stichwort Pipeline-System möchte ich noch mal auf einen etwas größeren Bogen zu sprechen kommen, denn eine nationale Wasserstoffstrategie wird nicht ausreichen, um den sehr großen Energiebedarf Deutschlands zu decken. Wir importieren auch heute im Wesentlichen unsere Energierohstoffe und die kommen nicht aus Deutschland. Das wird auch mit dem Wasserstoff so sein. Es wird nicht ausreichen, Windräder in Mecklenburg-Vorpommern zu bauen, um den deutschen Energiehunger zu stillen, wir müssen das europäisch sehen, sowohl in der Erzeugung als auch im Transport von Wasserstoff, und auch Nordafrika wird in diese Policy sehr intensiv miteinzubeziehen sein.

Moderation Ute Neuhaus: Also, national und international müssen da dicke Bretter gebohrt werden. Das sind Milliarden-Investitionen – in neue Technologien, in die Beschaffung von grünem Wasserstoff, in Netze. Das macht natürlich eines nochmal deutlich: Die Klimaneutralität von Stahl, das wird ziemlich viel Geld kosten. Aber wer bezahlt das alles? Wir als Steuerzahler?

Dr. Heino Buddenberg: Am Ende des Tages zahlt alles der Bürger, der Konsument, ob durch Steuern und Abgaben oder durch Produktpreise für die Güter und Dienstleistungen, die er erwirbt, und auch egal, ob direkt, indirekt oder umgeleitet über EU-Töpfe – am Ende des Tages wird es der Bürger, der deutsche Bürger, der europäische Bürger, der Weltbürger bezahlen müssen.

Moderation Ute Neuhaus: Und woher weiß ich dann als Verbraucher, was das richtige Maß ist, dass ich nicht einfach irgendwelche Preiserhöhungen hinnehmen soll, so unter dem Mäntelchen der Klimawende?

Dr. Heino Buddenberg: Das ist genau das Thema! Wir können nicht davon ausgehen, dass Kosten, die irgendwo entstehen, einfach weitergegeben werden; sondern Aufgabe ist es, einen Markt für CO2-Reduktion – Emissionsreduktion – zu erzeugen. Und diesen CO2-Markt auf allen Wertschöpfungsstufen zu etablieren.

Moderation Ute Neuhaus: Und wie kann denn das funktionieren? Und wie nimmt sich Waelzholz dieser Sache an?

Dr. Matthias Gierse: Alle Teilnehmer, alle Teile dieser Lieferketten- und Wertschöpfungsnetzwerke werden sich mit der Bilanzierung ihrer CO2-Emissionen beschäftigen müssen. Neben der mengenmäßigen Erfassung der CO2-Emissionen benötigt man auch eine Bewertung der Vermeidung derselben. Denn das Vermeiden von CO2-Emissionen kostet Geld, und, wie Heino Buddenberg gerade gesagt hat, wird das übertragen werden müssen in einen Marktpreismechanismus, der am Ende bewertet: Wie viel wert ist die Vermeidung einer Tonne CO2 bei der Fertigung bestimmter Produkte?

Moderation Ute Neuhaus: Und Waelzholz? Also, Wertschöpfungsstufe, Wertschöpfungsketten – was tut Waelzholz da, ganz konkret?

Dr. Heino Buddenberg: Wir sind da schon sehr weit. Wie erwähnt, wir können mittlerweile die Emissionen aus Scope Eins, Zwei, Drei genau bemessen, zuordnen, bewerten und über unsere Einkaufsleistung von Warmband und Energien können wir die Vermeidungskosten in unserem System agglomerieren und dann an den Kunden weitergeben. Und genau diese Transparenz, die Erzeugung dieser Transparenz, und die Herbeiführung von CO2-Emissionsvermeidung ist eine Serviceleistung, die wir zukünftig als einen wesentlichen Punkt unserer Geschäftspolitik verstehen.

Moderation Ute Neuhaus: Wenn ich das mal so auf den Punkt bringe, dann verstehe ich, dass Waelzholz auch hier, auch bei diesem Thema, seine Mittlerposition wahrnehmen will, also auch wieder Bindeglied ist zwischen Stahlproduzent und den Waelzholz-Kunden. Ist das so?

Dr. Heino Buddenberg: Natürlich! Wir erheben den Anspruch, Markt- und Technologieführer in unserem Segment der Kaltwalzbranche zu sein, und werden bei der Transformation der Stahlindustrie zur Klimaneutralität gestaltend mitwirken. Wir werden unsere Marktposition und die wirtschaftliche Bedeutung unserer Branche auch kommunikativ einsetzen und die Wahrnehmung unserer Erfordernisse stärken. Das ist auch nötig, damit die Entscheider – in Politik, Verwaltung, Ämtern, wo auch immer, Energienetzwerken – die Auswirkungen ihrer klimapolitischen Entscheidungen auf unsere Branche verstehen und wir letztlich gemeinsam dafür sorgen können, dass wir in Deutschland auch morgen noch eine nicht nur konkurrenzfähige Stahlindustrie haben, sondern überhaupt über eine nationale Industriestruktur, nämlich das Wertschöpfungsnetzwerk, verfügen.

Moderation Ute Neuhaus: Da würde ich gern nochmal einhaken: Im gesamten Transformationsprozess der Stahlindustrie, wenn man mal so alle Aspekte betrachtet, welche Rolle nimmt sich Waelzholz da, welche Verantwortung fühlen Sie als sehr traditionsreiches Unternehmen in dieser Branche und in diesem Wertschöpfungsnetzwerk?

Dr. Heino Buddenberg: Ja, Nachhaltigkeit, das Wort allein sagt ja schon, dass man nachhaltig tätig sein wird. Das heißt: Wir sind jetzt über 190 Jahre alt und wir hätten es gern, wenn es uns noch in weiteren 190 Jahren geben würde. Darum geht es bei Nachhaltigkeit.

Wir erwähnten vorhin das Pariser Klimaabkommen: Bis 2050 ist das Ziel gesetzt, die Zielerreichung vorgegeben, und wir werden alles daransetzen, um eben durch die Stellschrauben, an denen wir drehen können, Waelzholz mit seinen Produkten klimaneutral zu stellen und damit seine Verantwortung wahrzunehmen. Denn auch unsere Aufgabe ist es als Unternehmen dafür zu sorgen, dass wir auch morgen noch eine konkurrenzfähige Stahlindustrie haben und auch ein funktionierendes Wertschöpfungsnetzwerk für die Arbeitsplätze unserer Kinder zur Verfügung steht.

Moderation Ute Neuhaus: Und hat Waelzholz da eine Stimme? Wie ist das, welche Bedeutung, welche Position können Sie einnehmen? Ich denke da auch ein bisschen in Richtung Politik.

Dr. Heino Buddenberg: Jeder Mensch hat eine Stimme, jedes Unternehmen hat eine Stimme, und man muss nur laut genug sprechen, damit andere sie hören.

Dr. Matthias Gierse: Ja, und wir bemühen uns in der Tat stark in den entsprechenden Gremien, die Lobby-Arbeit wahrzunehmen, die wir wahrnehmen müssen, um die Politik in die richtige Richtung zu bewegen. Also, das ist schon auch durchaus ein aktives Doing, das ist nicht nur Zuwarten.

[Titelmelodie im Hintergrund]

Moderation Ute Neuhaus: Also, Steel to Zero – das Ziel ist richtig ambitioniert. Wir haben gehört, dass Unternehmen im gesamten Wertschöpfungsnetzwerk Stahl vor großen Herausforderungen stehen, sich aber bereit machen für den Wandel und auch schon intensiv an der Transformation arbeiten. Wir haben gelernt, dass Stahl aber auch der Power-Werkstoff ist, der die Klimawende auch erst ermöglicht. Und ich habe mitgenommen, nur wenn auch die politischen Weichen gestellt werden, dann wird Stahl bis 2050 klimaneutral sein können. Und dann, also nicht nur grün machen, sondern auch grün sein. Herr Dr. Buddenberg, Herr Dr. Gierse, ich bedanke mich sehr herzlich bei Ihnen für Ihre Zeit, dass Sie meine Gäste waren, dass wir hier bei Ihnen vor Ort sein durften und dass Sie dieses wirklich, wirklich komplexe Thema für uns ein bisschen leichter begreiflich gemacht haben.

Dr. Heino Buddenberg: Danke, Frau Neuhaus. Happy Rolling!

Dr. Matthias Gierse: Herzlichen Dank und „Glück auf!“ wie man in der Stahlindustrie sagt.

[Outro]

Moderation Ute Neuhaus: „Glück auf“ auch Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, und vielen Dank für’s Zuhören. Schön, dass Sie dabei waren. Es gibt eine weitere Folge der Podcast-Reihe „Steel to Zero“ und da schauen wir uns an, wie grüner Stahl überhaupt hergestellt werden kann. Wir werden im Gespräch sein mit einem der wichtigsten deutschen Hersteller von Stahl. Bleiben Sie bitte bei uns und abonnieren Sie den Podcast, damit Sie keine Folge verpassen.

Bleiben Sie gut informiert mit „Steel to Zero“, dem Nachhaltigkeitspodcast von Waelzholz. Jetzt mit einem Klick anhören unter waelzholz.com/steeltozero. Und denken Sie daran: Waelzholz mit AE.

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